Wer Klaus Wirnitzer über seine Interessen und Aktivitäten erzählen hört, der kann — angesichts des eigenen, wohl eher mäßigen Tatendrangs — leicht ein schlechtes Gewissen bekommen. Seit 2015 lebt er mit der Diagnose »Morbus Parkinson«.
Vor neun Jahren fängt der zweifache Vater mit dem Radfahren an. Es beginnt aus der Not heraus: Nach einem Autounfall fragt sich Klaus Wirnitzer, wie er jetzt zur Arbeit kommen soll. Überfüllte Züge sind nichts für ihn. Also beginnt er Fahrrad zu fahren. Die einfache Strecke ins Büro hat 25 Kilometer. Hin und zurück sind das 50 Kilometer jeden Tag. Klaus Wirnitzer merkt, wie gut ihm das tut. Sein neues Carbonfahrrad hat er sogar mitgenommen zur Parkinson-Komplexbehandlung im Passauer Wolf Bad Gögging. »Es macht einfach Spaß«, meint er, »das Rad ist superleicht und die Fahrrad-App zeigt alle Routen, die ich in Bad Gögging geradelt bin.« 170 Kilometer sind schon zusammengekommen. Und der Aufenthalt dauert noch eine Woche. »Solange ich die E-Biker noch einholen kann, brauche ich kein E-Bike«, sagt er. Doch Klaus Wirnitzer ist auch für andere aktiv.
ENGAGIERT FÜR ANDERE
Für die Parkinson-Selbsthilfegruppe hat Klaus Wirnitzer die ersten Zoom-Konferenzen zum Laufen gebracht und eine WhatsApp-Gruppe eingerichtet. Die Selbsthilfegruppe trifft sich einmal im Monat, tauscht sich aus, unterstützt sich gegenseitig. Zur Frage-Antwort-Runde sind Fachärzte und Therapeuten eingeladen, die einen Bezug zu Morbus Parkinson haben. Darüber hinaus gibt er seine reiche Berufserfahrung aus dem Bankensektor ehrenamtlich bei den Aktivsenioren Bayern e.V. an Existenzgründer oder Unternehmen in Krisensituationen weiter.
DER SINN FÜR DAS SCHÖNE
Klaus Wirnitzer fotografiert gerne: Landschaften, die Natur in Makroaufnahmen von Blättern und Blüten. Für die Familie fertigt er aus den Fotos Kalender, die es nur einmal gibt. Die Krippen im Keller erzählen von seinem geschickten Um gang mit Holz. Und seit 1994 singt Klaus Wirnitzer auch im Konzertchor des Lehrergesangsvereins mit Konzerten unter anderem in der Meistersingerhalle in Nürnberg.
MORBUS PARKINSON
ist eine der häufigsten Erkrankungen des zentralen Nervensystems. In einem bestimmten Gehirnareal sterben dopaminhaltige Nervenzellen ab. Warum sie das tun, bleibt in den meisten Fällen unklar. Erste Symptome sind verlangsamte, unsichere Bewegungen, Versteifung oder Zittern. Die Sprache wird undeutlicher und auch die Handschrift zeigt Veränderungen. Sie wird kleiner, zittriger, unleserlicher. Etwa 300.000 Menschen in Deutschland sind von Morbus Parkinson betroffen.
Nicht das Graue suchen, sondern die bunten Farben.
AUF UNSICHEREM BODEN
Natürlich gab es körperliche Auffälligkeiten. Aber es gab dafür auch plausible Erklärungen. So zog Klaus Wirnitzer etwa das rechte Bein ein wenig nach. Das schob er auf eine vorangegangene Knieverletzung. Dass etwas nicht stimmte, merkte er erst, als er die Fahrradbremse mit der linken Hand drückte und nachfassen musste und es trotzdem nicht schaffte. Und er es immer wieder versuchte. 2015 erhielt er dann in der Uniklinik Erlangen die Diagnose: Morbus Parkinson. »Ich hatte gar keine Vorstellung, was das überhaupt ist«, erzählt Klaus Wirnitzer.
EINE OPERATION BRINGT DIE WENDE
Die »Off-Phasen« nahmen zu. Das sind Ausnahme-Zeiträume. »Da bist du steif und unbeweglich, da kannst du nichts mehr machen.« Aber es waren ja nicht nur die Off-Phasen, die das Leben von Klaus Wirnitzer belasteten. »Meine Aussprache wurde immer undeutlicher, meine Schrift krakeliger. Es ist schon schwierig, wenn man seine eigene Schrift nicht mehr lesen kann.« Eine Medikamenten-Pumpe kam für Klaus Wirnitzer nicht infrage, weil er Blutverdünner nahm und auch, weil man sie beim Schwimmen abnehmen muss. So entschloss er sich 2018 zur Operation bei Prof. Dr. med. Jürgen Schlaier, demneurochirurgischen Leiter des Zentrums für Tiefe Hirnstimulation am Universitätsklinikum Regensburg. In einer achtstündigen Operation wurden ihm zwei Elektroden für die Tiefe Hirnstimulation ins Gehirn eingesetzt. Sie erzeugen elektrische Reize in der Hirnregion, in der die Funktion der Nervenzellen gestört ist, und gleichen darüber Einschränkungen aus. Mit einem handy- ähnlichen Gerät lässt sich die Hirnstimulation vom Patienten selbst steuern. Die Operation, bei welcher der Patient bei Bewusstsein ist, hat Klaus Wirnitzer gut überstanden. »Ich durfte Musik hö- ren, das dämpft die OP-Geräusche und wirkt beruhigend.« Zur anschließenden multimodalen Komplexbehandlung kommt Klaus Wirnitzer ins neurologische Zentrum für Bewegungsstörungen im Passauer Wolf Bad Gögging. Priv.-Doz. Dr. med. Tobias Wächter ist dort Chefarzt der Neurologie. »Die besondere Stärke der zweibis dreiwöchigen multimodalen Komplexbehandlung liegt in der Kombination von medikamentös-therapeutischen und nicht-medikamentösen Behandlungskonzepten, etwa von Physio-, Ergound Sporttherapie, Neuropsychologie und physikalischen Maßnahmen. Auch die Optimierung von Hirnstimulatoren nehmen wir während der multimodalen Komplexbehandlung bei uns vor. Das Zusammenwirken unterschiedlicher Maßnahmen verbessert die Lebensqualität betroffener Menschen deutlich.« Bettina Weinbacher ist Sporttherapeutin im Passauer Wolf Bad Gögging und betreut Klaus Wirnitzer beim Nordic Walking, in der Gruppe »Mobil mit Parkinson« und beim Taiji. »Warum sich Taiji bei Parkinson so gut eignet? Taiji verbessert Koordination, Gleichgewicht, Haltung und Bewegungsfluss. Parkinson-Patienten haben Probleme mit der Haltung, sind in der Bewegung eingeschränkt. Je weiter fortgeschritten die Erkrankung ist, desto kleiner und reduzierter werden die Bewegungen. Durch die Einschränkung der Hüftrotation wird auch die Pendelbewegung der Arme kleiner. Große Schritte sind deshalb wichtig und beim Taiji werden auch die Arme mit genommen. Die Fußstellungen, die Koordination beider Hände helfen beim Ausgleich. Zudem ist Taiji auch eine Entspannungsmethode und wirkt beruhigend und lösend.«
Die Tiefe Hirnstimulation: Durch Justierung des »Hirnschrittmachers« kann Einfluss auf die Symptome genommen werden.
WIE ES WEITERGEHT?
Klaus Wirnitzer schaut optimistisch in die Zukunft. Die Parkinson-Komplexbehandlung macht er nicht zum ersten Mal. Sie hilft. Seine Aussprache verbessert sich dadurch, die »Off-Phasen« nehmen ab. Er nimmt sich fest vor, seine Übungen auch zu Hause zu machen. Und natürlich wird Klaus Wirnitzer weiterhin Rad fahren und sich in die Selbsthilfegruppe und bei den Aktivsenioren einbringen. Und fotografieren. Und mit seiner Frau nach New York und Vancouver reisen, weil dort eine Freundin lebt, die er seit ewigen Zeiten nicht mehr gesehen hat. Nur weite Strecken fahren, zum Beispiel mit dem Wohnmobil, das traut er sich nicht mehr zu. Gefragt nach einem Gedanken, den er gerne den Lesern der Wolfsspur mitgeben möchte, antwortet er mit einem Zitat aus »Das Leben des Brian«:
Always look on the bright side of life.
Bildnachweis: Foto Mayer