FRAGEN ZUM WOLF …
Anfang August meldete das Bayerische Landesamt für Umwelt drei Jungtiere im Bayerischen Wald. Es ist der erste wilde Wolfsnachwuchs in Bayern in 150 Jahren. Doch während die einen den Erfolg feiern wittern die anderen die Gefahr.
Seit seiner Rückkehr nach Deutschland hat sich der Wolf rasanter verbreitet als viele angenommen hatten. Wölfe lassen sich nicht geografisch eingrenzen. Gerade junge Männchen wandern sehr lange Strecken. Die Forderung einiger Nutzerverbände und Politiker nach »wolfsfreien Zonen« wäre in der Praxis überhaupt nicht durchsetzbar. Wölfe sind Opportunisten, sie lassen sich dort nieder, wo sie genug zu fressen finden. In Italien kommen sie zum Beispiel bis in die Vororte von Rom. Sie brauchen keine Wildnis und nutzen gern die Strukturen der Menschen wie Waldwege und Straßen. Für ein erfolgreiches und friedliches Miteinander von Mensch und Wolf wird der Mensch Respekt vor der Natur und anderen Tieren lernen müssen.
Ein unschlagbares Team
Schließlich hatten unsere Vorfahren und der Wolf vieles gemeinsam: Der prähistorische Mensch und der Wolf zogen als Nomaden durch die Eiszeitsavanne. Beide jagten und ernährten sich von Fleisch. Für sich waren sie sehr erfolgreich, doch im Team waren beide unschlagbar. Gemeinsam bekämpften sie ihre Konkurrenten und ihre Feinde. Dabei verhielten sich Menschen und Wölfe sehr kooperativ. Sie jagten und kämpften zusammen, wenn es zum beiderseitigen Vorteil war. Aus dieser komplexen Koexistenz, die vor 35.000 Jahren begann, bildete sich eine neue Art heraus: der Hund. Dieser verhielt sich fürsorglich seinen Leuten gegenüber und aggressiv gegenüber Fremden.
… Antworten zum Leben
Wölfe haben positive Effekte für den Natur und Artenschutz: In ihren Revieren werden Fauna und Flora reichhaltiger. Ein Gespräch mit Professor Kurt Kotrschal.
WOLFSSPUR: Wie kam es dazu, dass sich der prähistorische Mensch und der Wolf arrangierten, anstatt sich gegenseitig auszurotten?
KURT KOTRSCHAL: Mit dem »Ausrotten« der Wölfe hätten sich Menschen aufgrund ihrer geringen Populationsdichten in der Altsteinzeit schwer getan. Zudem bestand dazu kein Anlass: Menschen und Wölfe waren damals nicht Feinde, sondern Partner. Ein auf den neuesten Erkenntnissen beruhendes Szenario legt nahe, dass Wölfe und Menschen zusammenkamen, weil sie einander ökologisch und sozial sehr ähnlich waren und bis heute sind. In ihrer animistischen Spiritualität haben unsere Vorfahren vor 35.000 Jahren Wölfe wahrscheinlich als ihr tierisches Ebenbild und als potente Mittler zur Geisterwelt gesehen. Nicht unwahrscheinlich, dass Menschen und Wölfe bei der Jagd auf Mammuts kooperierten.
WOLFSSPUR: Dann stellten beide Seiten ihre eigenen Ansprüche zum Wohle der Gemeinschaft und der friedlichen Koexistenz zurück?
KURT KOTRSCHAL: Nicht wirklich. Vielmehr war die Kooperation für beide Seiten vorteilhaft. Und »friedlich« war die Koexistenz immer nur innerhalb miteinander sozialisierter Partner. Wölfe und Menschen sind zwar »Kooperationstiere«, vorzugsweise aber innerhalb der eigenen sozialen Gruppe. Gut sozialisierte Wölfe kooperieren daher mit »ihren« Menschen beim Jagen, aber auch beim Bekämpfen »der Anderen«. Wölfe und ursprüngliche Menschen sind nur am Wohl der eigenen Gemeinschaft interessiert, ein artbezogenes »Weltethos« ist ihnen fremd.

WOLFSSPUR: Gibt es Ähnlichkeiten zwischen dem Verhalten eines Wolfsrudels und dem einer Menschengruppe?
KURT KOTRSCHAL: Wolfs- und Menschenklans sind einander in ihrer Ökologie und sozialen Organisation sehr ähnlich; Wölfe wie Menschen sind hoch soziale Laufjäger, die innerhalb ihrer Gruppen sehr freundlich und komplex beim Jagen, beim Aufziehendes Nachwuchses, aber auch beim Bekriegen der Nachbarn kooperieren, was häufig mit der Auslöschung einer Gruppe endet. In der Biologie wird dieses unschöne Verhalten »dichteabhängige Regulation« genannt. Bei Jägern und Sammlern wie auch in Wolfsrudeln sind die Hierarchien flach, Entscheidungen werden oft »demokratisch« getroffen, aber man vertraut stark auf die Erfahrung der Klan-Ältesten. Nach innen ist man fürsorglich; auch bei Wölfen wird ein schwaches oder verletztes Rudelmitglied in der Regel geschützt und betreut, außer es gab soziale Spannungen, was gelegentlich zum Ausschluss eines Wolfs aus der Gemeinschaft führt.
WOLFSSPUR: Als die Jäger und Sammler begannen, Ackerbau und Viehzucht zu betreiben, wurde der Wolf zum Feind. Können Mensch und Wolf heute wieder zu einem biologischen Team werden?
KURT KOTRSCHAL: Natürlich. Immerhin sind Menschen begabter als Wölfe, Zusammenhänge zu erkennen und logisch zu denken. So könnten Wölfe heute als Partner menschlicher Jäger gesehen werden, die exzellent darin sind, Wildbestände gesund zu erhalten, ohne sie auszurotten. Wölfe fördern ein längst fälliges Umdenken. Natur und Landschaft dienen eben nicht ausschließlich menschlichen Interessen, es gibt noch andere Tiere neben uns mit demselben Recht, die von uns beanspruchten Ressourcen zu nutzen. Wölfe sind Teil der Natur. Wir sollten uns wieder an ein geregeltes Zusammenleben mit ihnen anpassen und aufhören, sie als »böse Feinde« zu betrachten, durchaus auch zum eigenen Wohl.
WOLFSSPUR: Nur wenn der Menschbereit ist, sich anzupassen, können beide Seiten gewinnen. Doch wie viel Wildnis kann man dem Menschen zumuten?
KURT KOTRSCHAL: Es sollte uns Ehre und Privileg sein, die rasch immer kümmerlicher werdenden Reste von Wildnis für unsere Nachkommen zu bewahren und zu vermehren. Wölfe können uns helfen, diese Landschaften wieder »ökologischer« und damit nachhaltiger zu nutzen. Wir sollten uns von dem Konzept verabschieden, dass Natur- und Artenschutz nur in Parks und Reservaten stattfindet und dass außerhalb dieser »Schutzghettos« von Tieren unbehelligt gewirtschaftet werden darf.
Bildnachweise: Adobestock/VIKTORIIA, Andreas Herzog