Viele sagen 2020 war ein schweres Jahr. Stimmt auch. Es wurde mit zunehmender Dauer schließlich auch immer schwerer – ein Prozess, dem sich mein Körper einmal mehr völlig problemlos anzupassen wusste. Nach mittlerweile sechsundfünfzig Kalenderumdrehungen stelle ich überhaupt fest, dass mein Körper in der Lage ist, sein aktuelles Ist-Gewicht äußerst kompetent und zuverlässig mit dem vorgegebenen Soll-Jahresrhythmus in Einklang zu bringen. So beginne ich im Januar traditionell mit meinen unvermeidlichen Neujahrsvorsätzen, die begleitet von frauenzeitschriftlichen Frühjahrsdiätvorschlägen schließlich an der Pforte des Sommers zu einer konkurrenzfähigen Freibadfigur führen sollen. Gleichzeitig bietet briefkastenquellendes Discounterflugpapier umfangreiches Press-, Streck-, Gewicht-, Lauf- und Ruderzubehör feil, um sämtliche Bizepse, Trizepse und Wasweissichnochzepse in einen obenohnetauglichen Zustand zu trainieren. In Hochglanz-Leggings verpackte Knackhintern turnen professionelle Fitnesskonzepte aus allen im Haus befindlichen Computer und TV-Bildschirmen. Ich finde, es sind durchaus gute Ideen dabei. Mein Körper hält sie allerdings unter den gegebenen Voraussetzungen für schlicht nicht umsetzbar. Meistens kann ich mich zusammen mit ihm nach mehr oder weniger umfangreichen Verhandlungen auf einen Kompromiss eines gemeinsamen Ernährungs- und Bewegungsprogramms einigen, der es mir in der Freiluftsaison zumindest ermöglicht, permanentes Baucheinziehen schmerzfrei und ohne folgenschweren Sauerstoffmangel zu gestalten. Wenn im spätsommerlichen Frühherbst schließlich erste Printinformationen bezüglich der Verfügbarkeit von Schokoladennikoläusen, Nougat- und Marzipanfirlefanz eintreffen, ist es auch schon wieder Zeit, mich für die bevorstehende Herbstmast vorzubereiten. Spätestens beim Wutzeln selbstgebackener Vanillekipferl und sonstiger Butter-Zucker-Erzeugnisse mit Gebäckhintergrund überprüfe ich die Dehnbarkeit der eigenen Wansthaut hinsichtlich der kulinarischen Bewältigung der kommenden Weihnachtstage. Einige Gänsebrüste und ein abschließendes Silvester-Raclette später, beginne ich mit der Leichtigkeit eines Schweins, den Januar erneut mit meinen unvermeidlichen Neujahrsvorsätzen. Nur dieses Jahr habe ich im Hinblick auf eine konkurrenzfähige Freibadfigur gemeinsam mit meinem Körper entschieden, einfach nicht mehr ins Freibad zu gehen.
Ihr Stefan Wählt
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