FRAGEN ZUM WOLF …
Die Klimaerwärmung mit den auch in unseren Breiten erlebbaren Wetterextremen, dem Artensterben oder der Verschmutzung der Weltmeere, führen es uns vor Augen: Der Mensch kann sich nicht länger als »Krone der Schöpfung« verstehen. Allmählich begreift er sich als Teil der Natur und öffnet sich für eine achtsame Beziehung zu ihr. Moore und Flusslandschaften werden renaturiert, immer mehr Naturschutzgebiete ausgewiesen, die Elektromobilität legt zu, die Sensibilität fürs Energiesparen ist nicht nur aus Umweltgründen geweckt. Immer mehr Menschen entschließen sich dazu Vegetarier zu werden. Plastik-Einkaufstüten sind mittlerweile verboten wie auch das Töten von Küken. Das Verständnis für die Bedürfnisse der Natur wächst.
Der nach Deutschland zurückgekehrte Wolf aber polarisiert bis heute. Unsere Lebensweise, auch unsere Weidetierhaltung grenzt seinen Lebensraum enorm ein – und damit seine Jagdgründe. Das scheue Wildtier wird immer näher zu menschlichen Siedlungen getrieben. Ein Konflikt ist annähernd unausweichlich. Die streng geschützten Wildtiere werden zu »Problemwölfen«. Bis zur Abschussgenehmigung ist es dann nicht mehr weit. So machten sich Politiker und Almbauern bei einem Treffen in Rottach-Egern für Schutz von Weidetieren vor dem Schutz von Wölfen stark. Wie NABU, der Naturschutzbund Deutschland e.V., immer wieder betont: Es wäre beides möglich.
… ANTWORTEN ZUM LEBEN
Mit dem Verhaltensbiologen Prof. Dr. Kurt Kotrschal verbindet den Passauer Wolf nicht nur die Nähe zu Meister Isegrimm. Er gab Mitarbeitern des Passauer Wolf im von ihm mitbegründeten »Wolf Science Center«in Ernstbrunn die Möglichkeit, den wilden Tieren auf Augenhöhe zu begegnen, teilte sein Wissen mit uns im Rahmen unseres »Wolfstags« in Regensburg und schlug in seinen Publikationen immer wieder die Verbindung zwischen Wolf und Mensch.
Als Professor im Ruhestand wirft Kurt Kotrschal sein reiches Wissen als Verhaltensbiologe und aus der Forschung mit Tieren, insbesondere mit Raben,
Hunden, Affen und Wölfen, in die Waagschale der Evolutionsgeschichte, um sich den großen Fragen der Menschheit zu stellen: Woher kommen wir? Wie sind wir zu dem geworden, was wir heute sind? Was macht uns eigentlich zu Menschen? Seine Erkenntnisse macht Kurt Kotrschal im aktuellen Buch »Mensch« zugänglich.
VERSTANDESGESTEUERT? IRRATIONAL?
Vermeintlich verstandesgesteuert neigt der Mensch dazu, sich als »Krone der Schöpfung« über die Tierwelt zu stellen. Doch Kurt Kotrschal beschreibt den Menschen als zutiefst irrationales Wesen. »Menschen haben ein Leben lang zu tun, ihre stammesgeschichtlichen Anlagen – etwa die Emotionen – unter eine sozial angemessene Kontrolle zu bringen.« Negative Gefühle sind dabei stammesgeschichtlich älter und wirkmächtiger als positive. »Kein Wunder, denn einmal zu zögerlich geflohen, bedeutet unter Umständen für immer tot«.
VOM WURM ZUM WIRBELTIER
ZUM MENSCHEN
Vor 450 Millionen Jahren erwachte in wurmartigen Organismen, den Chordatieren, die Anlage zur Entwicklung von Wirbel- und Säugetieren bis hin zu den Primaten. »Der gemeinsame Vorfahre von Wolf und Mensch war vor 60 Millionen Jahren ein kleines, wahrscheinlich nachtaktives und weder besonders soziales noch kluges Säugetier.« Die Verwandtschaft zwischen Wolf und Mensch zeigt sich bis heute etwa in loyalen gruppeninternen Kooperationen oder beim Jagen wie auch beim gemeinsamen Aufziehen des Nachwuchses oder durch die gemeinsame Behauptung gegen gefährliche Nachbarn – egal ob dies feindliche Artgenossen oder hungrige Bären sind. »Solche zur Lösung ökologischer Probleme entstandenen sozialen Systeme entwickeln ihre eigene Dynamik: Sie werden immer komplexer und fördern Hirngröße und Klugheit. So geht es bei Wölfen wie bei Menschen darum, wer wie viel in der Gruppe zu bestimmen hat, wie Kompetenz und Hierarchie balanciert werden – mit einem Wort: wie man Eigeninteressen verfolgt, ohne die Gruppe zu schädigen, die man zum eigenen Wohl benötigt.«
GEMEINSAMKEITEN ZWISCHEN
MENSCHEN
Mutation und Selektion ließen Menschen einander immer ähnlicher werden und weitgehend in ihren Genomen übereinstimmen – »wie es sich für die Angehörigen einer biologischen Art gehört«. Die Menschheit verbindet über die biologische Verwandtschaft hinaus eine große Anzahl an weichen, sozialen Merkmalen, den sogenannten »kulturellen Universalien«. Sie äußern sich beispielsweise in Grußsitten, Familienfeiern oder religiösen Riten, im Scherzen, Spielen, Tanzen oder Kochen, in Körpersprache, Handel, Geburtshilfe oder Wohnungsbau. Die Liste ließe sich mühelos verlängern: Bei aller individueller Entwicklung und auch wenn es manchmal schwerfällt zu glauben: Uns Menschen verbindet so viel mehr, als was uns trennt.
Bildnachweise: Passauer Wolf, gettyimages/Raimund Linke