Jürgen Mette ist Theologe und war lange Vorsitzender der Stiftung Marburger Medien und Lehrbeauftragter an der Evangelischen Hochschule Tabor. Vor zwölf Jahren riss ihn die Diagnose Morbus Parkinson aus seinem gewohnten Leben. Sich hängen zu lassen ist für ihn keine Option. Er möchte Mut machen – jetzt erst recht! Und so erklärt er uns, warum »heil sein wichtiger ist als geheilt zu sein«.
Was ging Ihnen damals durch den Kopf, als Sie von Ihrer Krankheit erfuhren?
Jürgen Mette: Ich wurde an ein Erlebnis aus meiner Kindheit erinnert. Mein Nachbar, ein liebenswürdiger alter Landwirt, litt seit Jahren unter einer Zitterkrankheit, damals Schüttellähmung genannt. Meine Mutter hat mich immer wieder ermuntert, »Onkel Konrad« zu besuchen und ihm ein wenig Gesellschaft zu leisten. Da saß der gebeugte Zittermann im grünen Lodenanzug im Sessel und musste immer vor Freude weinen, wenn ich in die gute Stube kam. Ich habe ihm Lieder vorgesungen, Geschichten vorgelesen und ihm das Neuste aus dem Dorf erzählt. Seine Frau Marie war »gut zu Fuß unter der Nase«. Ihr Mann schwieg verständlicherweise und wenn er mal den Mund öffnete, floss der Speichel in ein kleines saugfähiges Halstuch. Er konnte sich nur mit größter Mühe verständlich machen. Seine Hose war auf den Oberschenkeln mit Lederbesatz ausgestattet, wo seine zitternden Hände ständig jeden Stoff durchgewetzt hatten. Am Tag seiner Beerdigung betete es in mir: »Lieber Gott, bitte verschone mich später einmal vor dieser Zitterkrankheit!« Dieses naive Kindergebet muss wohl irgendwo zwischen Himmel und Erde verlorengegangen sein.
Bis dahin waren Sie glücklich und kerngesund. Die Diagnose Parkinson riss Sie regelrecht aus Ihrem bisherigen, gewohnten Leben. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Jürgen Mette: Ich war vorbereitet, als meine Frau und unsere Söhne und Schwiegertöchter mein Zittern im Ruhezustand bemerkten und mich direkt darauf angesprochen haben. Einige Jahre vorher hatte ich meinen Geruchssinn verloren. Aber ich habe den Vorboten von Parkinson einfach verboten, mich bei meiner Arbeit als Theologe und Geschäftsführer einer christlichen Medienstiftung, Referent und Autor zu stören. Ich hatte keine Zeit für ein neurodegeneratives Leiden. Ich flog mit meiner Frau für drei Wochen ans Tote Meer nach Israel. Bis dahin kannte ich nur Kurzurlaube, meistens verbunden mit Vorträgen. In der Stille des tiefsten Badeortes der Welt wurde mir immer mehr klar, dass ich unheilbar krank war. Erst Monate später, bei einer Filmproduktion in der Kapelle der Wartburg in Eisenach, konnte ich als Gastgeber und Moderator einer TV-Serie der Wirklichkeit nicht mehr entweichen. Der Tremor, also das Zittern, hatte mein Leben besetzt.
Der nächste Tag ist ein ohnmächtiges Nichts, wenn du ihm nicht selbst die Kraft leihst.
Sören Kierkegaard
Wie schafft man es, aufzustehen und nicht zu resignieren? Was war für Sie der Wendepunkt?
Jürgen Mette: Wenige Wochen nachdem ich von meiner Krankheit erfuhr, saß ich bei einem erfahrenen Neurologen weinend im Sprechzimmer und dort bekam ich das Beste aus dem Mund eines Arztes zu hören, was ich bis dahin nach einigen frustrierenden Begegnungen mit ärztlichem Personal erlebt habe: »Nun hören Sie auf zu weinen. Sie sind doch Pastor. Sie müssen das, was sie seit 30 Jahren anderen predigen, nun auch mal selbst tun!«, legte der Mediziner mir ans Herz. Das war wie ein Befreiungsschlag, wie eine erneute Ordination zum Predigt und Lehrdienst. Und der Neurologe, inzwischen als Emeritus ein guter Freund und Berater, legte gleich nach: »Sie werden wegen Parkinson keine Einladungen absagen!« Und das tat ich auch nicht. Seit diesem Gespräch habe ich wieder alle auswärtigen Dienste wahrgenommen – trotz Parkinson. Nach einer vierwöchigen Schwermutspause, verflüchtigte sich das Schwere und der Mut kam zurück. Mir wurde immer mehr bewusst, dass ich in der Hand Gottes geborgen war, ob ich nun an ihm gezweifelt habe oder nicht. Ich ging meiner Arbeit frisch, fromm und fröhlich nach, aber immer in dem Bewusstsein der Endlichkeit meines Lebens.
Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, anderen Mut zu machen und leben es vor, wie man mit Parkinson sein Leben wertvoll gestalten kann. Wie kam es dazu?
Jürgen Mette: Im Jahr 2012 besuchte mich ein Verleger, der eine Predigt von mir auf CD gehört hatte und mich als Autor gewinnen wollte, über meine Erfahrungen mit Parkinson zu schreiben. Nach einigem Zögern willigte ich ein und fing unverzüglich an zu schreiben. In drei Monaten war ich fertig. Das Buch »Alles außer Mikado – leben trotz Parkinson« ist inzwischen Tausenden zum Trost und Segen geworden. Seit der Veröffentlichung des Buches bin ich jedes Jahr zu rund 80 Vorträgen in Kirchen und Selbsthilfegruppen, bei Neurologen-Kongressen und Parkinson-Tagungen unterwegs.
Wie hat sich Ihre Einstellung zum Leben verändert und was ist geblieben? Haben Sie noch einen Tipp für unsere Leser? Sozusagen von Gast zu Gast, da sie ja selbst schon im Passauer Wolf zur Behandlung waren.
Jürgen Mette: Ich bin Gott dankbar für diese Lebensführung. Ich lebe bewusster und nehme jeden Tag aus der Hand Gottes. Denn die Angst vor morgen ist eine zutiefst heidnische Lebenseinstellung. Ein Christ lebt im Heute! »Hauptsache gesund!« ist eine nette Parole, aber sie stimmt einfach nicht. Unser Leben ist mehr als ein Funktionieren der Vitalfunktionen. Selbst in einem kranken Körper kann ein gesunder Geist wohnen.
Bildnachweis: Jürgen Mette