Eines habe ich mir beim Lernen der Bedeutung von Wörtern auf jeden Fall gemerkt: Nämlich, dass etwas Frisches selten im Verdacht steht, alt zu sein. Darum erschließt sich mir der rudelübergreifend vielfach geäußerte Wunsch, sich einst in alter Frische wiedersehen zu wollen, nicht in ganzer Gänze. Wobei nach dem zweiten Seuchenwinter in Folge selbst von meiner alten Frische nichts übrig ist außer ein paar vom frühmorgendlichen Windschutzscheibenabkratzen blau gefrorene Griffel und eine Tupperdose Schnee, die ich in der Gefriertruhe sicherheitshalber eingelagert habe, um meinen klimaerwärmten Enkeln einst zeigen zu können, wie so etwas damals ausgeschaut hat.
Nachdem uns also das munter mutierende Virus, das in der nach unten offenen Beliebtheitsskala bereits hinter den Leibhaftigen und jede mögliche Variante eines lästigen Gesäßfurunkels gerutscht ist, bereits einen messbaren Anteil unserer Lebenszeit versaut hat, sitze ich täglich am Fenster und warte auf die anderen Zeiten, die entsprechend der Aussagen der letzten Optimistenschlümpfe bestimmt mal wieder kommen werden. Aber auch den Ausspruch, »es würde nicht immer alles auf eine Seite hängen«, kann ich bestenfalls als mühseligen Versuch der Aufmunterung abheften, wenn ich nur an die Passagiere der Titanic denke. Wenigstens freue ich mich auf den Frühling. Das mache ich jedes Jahr. Ich freue mich darauf, wenn alles wieder rauskommt. Krokusse, Igel, Fledermäuse, Nordicwalker und Nachbarn mit jahreszeitlichem Isolationshintergrund. Ich freue mich darauf, morgens endlich wieder vom jähen Rabatz knatternder Baumaschinen geweckt und beim Frühstück vom Hochdruckreiniger des sagrotansüchtigen Siedlungssaubermanns begleitet zu werden, dessen Gartenmöbel schon demnächst keim- und partikelfrei die glanzgewienerte Terrasse krönen.
Ansonsten ist der Frühling grün. Das hat er mit der Hoffnung gemeinsam. Natürlich auch mit der Salatgurke, aber die hilft uns wenig dabei, Kraft und Mut für die Zukunft zu schöpfen. Das hat die Hoffnung schon wesentlich besser drauf. Oder ein Kalenderspruch, mit dem ich diesen Aufsatz gerne schließen möchte: »Freundlichkeit öffnet ein Fenster, Lächeln eine Tür.« Die weniger Romantischen können es weiter mit einem Schlüssel versuchen. Bis wir uns demnächst wiedersehen. Hoffentlich in neuer Frische!
Ihr Stefan Wählt
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