LEIDENSCHAFT FÜR REKORDE
Wie lange schaffen Sie es auf dem Laufband oder dem Crosstrainer zu bleiben? 30 Minuten, 60 Minuten? Bei Joey Kelly können es schon mal 24 Stunden werden, z. B. für den RTL-Spendenmarathon. Selbst das, eine Lappalie, im Vergleich zu den sportlichen Höchstleistungen, die ihm zuzuschreiben sind. In einem Jahr absolvierte er alle acht Ironman, die weltweit ausgetragen wurden – Hawaii, Australien, Neuseeland, Brasilien, Kanada, Zürich, Lanzarote und Roth in Deutschland. Das hat weder vor ihm, noch nach ihm jemand geschafft – ein bis heute ungebrochener Rekord. Rekorde ziehen sich durch Joey Kellys Leben. Als Ausdauersportler und Freund von Abenteuern setzt er sich immer höhere Ziele. Über 100 Marathons und Ultra-Wettkämpfe weltweit nahm er auf sich, darunter den Badwater-Run durch das Tal des Todes bei Temperaturen um die 50°C, den 400 km langen Wettlauf zum Südpol und das Radrennen »Race Across America«, bei dem es ganze 5.000 km am Stück zu radeln gilt. Die Liste der Erfolge ist mittlerweile so lang, dass sie als Teil von Vorträgen begeistern, die in ganz Europa besucht werden. Und sie liest sich, als wären sie drei bis fünf Leben zuzuordnen. Das Extrem bereitet ihm Freude. »Das ist ein Weg, den ich genommen habe, weil er Spaß gemacht hat. Ich betrachte den Sport nicht als so extrem, sondern eher als Leidenschaft mit immer wieder neuen Herausforderungen und dem Charakter einer Challenge«, erzählt er. Das ist seine Antwort auf die sich aufdrängende Frage, wieso man sich das antut, wieso es so extrem sein muss. Man könnte es vielleicht so sagen: Joey Kelly ist Meister darin, seinen Körper zu überlisten.
ZUSAMMENTREFFEN AUF DER WOLFSFÄHRTE
Wir treffen Joey Kelly in Bad Griesbach. Eines der längsten Nordic Walking Streckennetze Deutschlands ist hier zu finden. 2020 kamen 26 weitere Wander- und Nordic Walking-Routen mit einer Gesamtlänge von 242 km hinzu. Eine davon ist die »Wolfsfährte«. Der Passauer Wolf ist hier als Namensgeber des Pfades schnell entlarvt und das Passauer Wolf-Team natürlich mit von der Partie, als die Strecke im Luft- und Thermalbadekurort bei bestem Wanderwetter eingeweiht wurde. Am Vorabend erzählte Joey Kelly von sich und gab im Kursaal Einblick in sein bewegtes Leben, das die Musik, den Extremsport und jede Menge Abenteuer vereint.
EXTREM WAR ES SCHON IMMER
Der 48-Jährige wurde in Spanien in der Nähe von Toledo geboren. Er ist Musiker, beherrscht neben Akustik- und E-Gitarre sämtliche Percussion-Instrumente. Sein Nachname verrät seine Zugehörigkeit zur Kelly Family, die in den 90ern alle Rekorde brach und bis heute über 20 Millionen Alben verkauft hat. Mit dem Album »Over the Hump« gelang ihnen 1994 der Durchbruch. Eine regelrechte Fanhysterie setzte ein. Joey Kelly übernahm nach dem zweiten Schlaganfall seines Vaters die Geschäftsführung der KelLife GmbH. Eine enorme Verantwortung, der er für zehn Jahre nachkam. Jeder Cent, der über die Konten ging, wurde von ihm verwaltet, Verträge, Werbung, Mitarbeiter – alles seine Themen. Er steuerte die komplette Logistik. Bei 200 Konzerten pro Jahr europaweit eine Organisations- und Improvisationskunst. 50 Container, gefüllt mit Bühnenequipment, die Tourbusse und der komplette Fuhrpark zählten dazu, darunter auch das legendäre Hausboot aus Dublin, das lange als »zu Hause« der Kelly Family galt, der sonst die ganze Welt Heimat war.
Man kann nur die Kontrolle verlieren, wenn man seine eigenen Grenzen nicht mehr erkennt.
VON DER MUSIK ZUM AUSDAUERSPORT
Als Ausgleich zu den Auftritten begann Joey Kelly mit dem Ausdauersport. »Das Laufen gab mir den Halt, die Sicherheit und auch die Ruhe, Entscheidungen durchdacht und vor allem weitsichtig zu treffen«, beschreibt er es rückblickend in seinem Buch »Hysterie des Körpers«. Zum Sport hatte er zwar eine Verbindung. Angetrieben von seinem Idol aus Kindheitstagen Bruce Lee hatte er einen Hang zum Boxen, versuchte sich auch darin. Ausschlaggebend für den Schritt zum Ausdauersport war allerdings eine Wette mit Schwester Patricia, die zur ersten Anmeldung zu einem Volksmarathon führte. Der Beginn seiner Extremsportler-Karriere, die nun schon seit über 20 Jahren Bestand hat.
DER ERSTE SCHRITT IST DER HÄRTESTE
Auf ein Ziel ausgerichtet zu bleiben, ist etwas, das den meisten von uns schwerfällt. Der anfänglichen Euphorie guter Vorsätze folgt oft das Einschleichen alter Gewohnheiten. Wie also kriegt man es hin, so hartnäckig den Weg zum Ziel weiterzugehen? Tipp von einem, der es wissen muss: »Wenn man sich etwas mit einem ganz festen Ziel vornimmt, funktioniert das meiner Meinung nach auf jeden Fall als Booster. Dabei sollte man sich auf einen Tag committen, an dem man anfängt, das Ziel zu verfolgen. Nach etwa zehn Wochen wird das Ganze dann zur Gewohnheit und ein Teil meines Timemanagements. Ich bin fest davon überzeugt, dass der erste Schritt meist auch gleichzeitig der härteste ist.« Dabei kommt es auch für Joey Kelly selbst oft zu heraufordernden Situationen. Die Musik und den Extremsport unter einen Hut zu bekommen, führt nicht selten zu Terminkonflikten, denn Wettkampfvorbereitung fordert Zeit. Man bedenke: Der Stress auf der Bühne kommt während der Tourzeiten hinzu. Umso erstaunlicher, wie Joey Kelly immer wieder scheinbar mühelos Höchstleistungen gelingen. Während andere beispielsweise schon Tage vor dem Start eines Ultra-Marathons eisern vor Ort trainierten und ihren Körper an die klimatischen Bedingungen gewöhnen konnten, kam er oft kurz vor dem Startschuss an, da er Stunden zuvor noch auf der Bühne stand, und legte nahezu ohne Schlaf los. Unvergessen auch das Konzert im Münchner Olympiastadion, bei dem die Zeit für das Umziehen fehlte. Vor der Show »Michael Jackson & Friends« hakte Joey Kelly noch schnell einen Ironman ab und stand just in time auf der Bühne – mit Laufdress, das seine Startnummer verriet.
WAHNSINN ODER WAHNSINNS-VERTRAUEN
Während der Auftritte auf sämtlichen Bühnen des Landes lernte Joey Kelly viele Ecken Deutschlands kennen. Inzwischen hat er allerdings auch nahezu jeden Winkel zu Fuß erkundet. Auf der Reise von Wilhelmshaven zur 2.962 m hohen Zugspitze schläft er draußen unter einer Plane, isst nur, was die Natur hergibt. Hunger und Durst sind ständige Begleiter. Geld oder Essen von anderen nimmt er nicht an. Das ist Teil der Prämissen, die er sich – inspiriert von Rüdiger Nehberg – gesetzt hat, und damit Teil der Herausforderung. Sich darauf einzulassen setzt ein schier unerschöpfliches Urvertrauen voraus. Das muss man erst mal durchhalten. Weitergehen, den Körper bewegen, obwohl der nicht mehr vorhandene Speichel am Gaumen kleben bleibt und man dem natürlichen Drang nach Wasser im wahrsten Sinne noch eine Weile aus dem Weg gehen muss.
REISEN ABSEITS DER KOMFORTZONE
Gemeinsam mit Sohn Luke machte er sich 2018 auf den Weg von Berlin nach Peking – in einem über 50-jährigen Bully, der klappriger kaum sein könnte. Das Reisen zählt zu Joey Kellys Leidenschaften. »Die Strecke, die Länder, die Kulturen und Menschen, denen wir auf der Reise begegnet sind«, waren für ihn die schönsten Erlebnisse. »Aber auch das gemeinsame Reisen zusammen mit meinem ältesten Sohn Luke, das gemeinsame Angehen der Challenge und dann das Bestreiten von Höhen und Tiefen, war für mich ein tolles Erlebnis.« Nach 27 Tagen, 10 Ländern und 13.000 km zusammen im Ziel anzukommen, beschreibt er als unvergesslich schön. Zu seinen regelmäßigen Reisebegleitern zählt auch Rammstein-Frontsänger Till Lindemann. Zuletzt waren sie zusammen dem Mythos Amazonas auf der Spur. Die beiden lernten sich hinter der Bühne eines Musikevents kennen und wurden Freunde. Lindemann ist sogar Patenonkel seines Sohnes und selbst ehemaliger Leistungsschwimmer. Beide verbindet also der Sport, die Musik, die Liebe zur Natur – und die Freude am Extrem. Strandurlaub ist nicht Joey Kellys Fall. »Ich habe diese Form von Urlaub noch nie gemacht, kann und möchte das auch nicht tun«, sagt er. »Für mich ist ein aktiver Urlaub am schönsten, gemeinsam mit der Familie, beispielsweise eine halb- oder ganztägige Wanderung in den Bergen, Mountainbiking oder Kajaking. Aktivurlaub reizt mich, macht mir Spaß und fördert die Gesundheit des eigenen Körpers.«
In der Krise benötigt man Flexibilität, um neue Wege zu gehen.
RUHEPOL UND NEUE WEGE
Bei so einer Fülle an körperlichen Herausforderungen, stellt sich die Frage, ob es auch mal ruhige Momente im Leben von Joey Kelly gibt. Die gibt es. Im Rhein-Sieg-Kreis hat er sich ein Zuhause geschaffen, das seinem Freiheitsdrang gerecht wird, auf einem Gelände, das vormals ein Kloster war. Hier möchte er es schaffen, autark zu leben – mit seinen vier Kindern und seiner Frau. Und auch wenn das erstmal nach viel Arbeit klingt, lässt es sich hier wohl auch mal gut Luft holen, zwischen all den atemraubenden Abenteuern.
Die Krise stoppt seine Zukunftspläne nicht. Im Frühjahr dieses Jahres endet die vierte Etappe seines aktuellen Deutschlandprojekts – das »Grüne Band«. Derzeit liegt ihm also die ehemalige innerdeutsche Grenze zu Füßen. Das sind 1.400 km von der Ostsee bis zur tschechischen Grenze. Die Panamericanaroute steht ebenfalls auf dem Plan. »Die Durchführung hängt natürlich davon ab, wie sich die aktuelle, weltweite Corona-Krise entwickelt. Daher könnte es auch sein, dass wir die Challenge auf nächstes Jahr verlegen müssen«, verrät er. Zudem möchte er im April den Nordpolmarathon laufen, sofern es die Corona-Situation zulässt.
»In Sachen ›Musik mit der Kelly Family‹ ist die aktuelle Krise mit einem Berufsverbot gleichzusetzen, zumindest was die Auftritte in Konzerthallen betrifft. Auf jeden Fall ist geplant, dass die Kelly Family irgendwann wieder auf Tour geht, aber wir müssen zunächst einmal abwarten, wie sich die Situation weiterentwickelt. Ich hoffe, dass die Impfungen in diesem Jahr dazu führen werden, dass man als Musiker bald wieder in Konzerthallen auftreten kann. Falls die Einschränkungen weiterhin bestehen bleiben, gibt es meinerseits zunächst andere Pläne.« Bei aller Flexibilität ist eines bei Joey Kelly wohl in Stein gemeißelt: Langweilig wird es ihm sicher nicht. »Bleiben Sie gesund und verfolgen Sie Ihre Träume trotz der Situation!«, ruft er uns zum Abschied zu.
Bildnachweis: Thomas Stachelhaus – fotostachelhaus.de,