FRAGEN ZUM WOLF …
Auch in Bayern könnten in Zukunft Truppenübungsplätze zu einer wichtigen Bastion für Wölfe werden. Obwohl viele dieser Flächen bis heute intensiv genutzt werden, sind sie so weitläufig, dass sie den Tieren sogar bei Manövern sichere Rückzugsmöglichkeiten bietet.
Die Wölfe sind in Deutschland auf dem Vormarsch. Ihre Rückkehr nach Deutschland ist ein Erfolg für den Artenschutz, aber zugleich eine große Herausforderung. Im 21. Jahrhundert kann eine Nachbarschaft von Menschen und Wildtieren nur gelingen, wenn der Mensch bereit ist, sich anzupassen. Doch einige Menschen sehen in den Tieren eine potenzielle Gefahr. Auch wenn es in Deutschland immer noch ein Glücksfall ist, einem Wolf zu begegnen, häufen sich in den Medien Berichte über Wölfe, die keine Scheu vor Menschen zeigen und ein für Wildtiere untypisches Verhalten an den Tag legen. Diese Tiere werden als sogenannte »Problemwölfe« eingestuft und können notfalls auch getötet werden, wie zuletzt im April letzten Jahres in Niedersachsen.
DIE RÜCKKEHR DER WÖLFE
Der Zoologe Axel Gomille besucht seit 2008 regelmäßig die Lausitz und andere deutsche Wolfsgebiete. In mehreren TV-Dokumentationen hat er über die Rückkehr der Wölfe berichtet. Er ist der Frage nachgegangen, ob die Ausbreitung der Wölfe ein Grund zur Sorge ist und wie die wilden Wölfe wirklich sind. Alten Vorurteilen und verbreiteten Mythen begegnet er mit Fakten. Er benennt die Probleme und zeigt, welche wichtige Rolle die Wölfe in der Natur spielen. Für den Diplom-Biologen hat es eine ungeheure Symbolkraft, dass im modernen, durchorganisierten Deutschland noch Platz für Wölfe ist.

… ANTWORTEN ZUM LEBEN
Immer mehr Wölfe werden in Zukunft in der Nachbarschaft von Menschen leben. Ist das ein Grund zur Sorge? Ein Gespräch mit dem Biologen Axel Gomille.
WOLFSSPUR: Der Nachweis des ersten Wolfes gelang in einem militärischen Sperrgebiet. Welche Rolle spielen Truppenübungsplätze bei der Rückkehr der Wölfe?
AXEL GOMILLE: Militärische Sperrgebiete spielen bei der Ausbreitung der Wölfe eine entscheidende Rolle. Diese Flächen sind wildreich und oft sehr groß. Da scheint es für die Wölfe zweitrangig, dass viele dieser Truppen-Übungsplätze bis heute militärisch intensiv genutzt werden. In Sachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen sind militärische Flächen zu wichtigen Rückzugsgebieten für die Tiere geworden. Von dort aus durchstreifen sie die Umgebung, und viele Welpen haben dort das Licht der Welt erblickt.
WOLFSSPUR: Im Mai 2016 lebten in Deutschland 46 Wolfsrudel. Nach Angaben des Bundesumweltministeriums sind in Deutschland Lebensräume für 440 Rudel vorhanden. Halten Sie diese Zahl für realistisch?
AXEL GOMILLE: Bei dieser Zahl handelt es sich um eine Hochrechnung. Aber es gibt natürlich Grundlagen für solche Berechnungen. Man schaut sich an, welche Lebensräume schon besiedelt sind und welche Rahmenbedingungen dort herrschen. In einem zweiten Schritt guckt man dann, wie viele vergleichbare Flächen es noch gibt. Dabei hat sich gezeigt, dass Deutschland noch sehr viele potenziell geeignete Lebensräume hat, die nicht von Wölfen besiedelt sind. Sie stoßen bei uns auf geradezu ideale Bedingungen, denn noch nie gab es in Deutschland so viel Wild wie heute. Insgesamt sind es mehrere Millionen Huftiere, deren Zahl jedoch starken jahreszeitlichen Schwankungen unterliegt. Ihnen stehen in Deutschland heute etwa 400 Wölfe gegenüber. Dieses Verhältnis verdeutlicht, dass es den Wölfen nicht annähernd gelingen kann, den Bestand wilder Huftiere in Deutschland zu regulieren.
WOLFSSPUR: Steigt mit wachsenden Wolfszahlen nicht zwangsläufig das Konfliktpotenzial?
AXEL GOMILLE: Nein. Die meisten Probleme gibt es mit Angriffen auf Nutztiere. Hier ist aber meist mangelnder Herdenschutz das Problem, nicht die Zahl der Wölfe. Auch einzelne Wölfe können großen Schaden anrichten, wenn Nutztiere nicht geschützt sind. Durch spezielle Zäune und Herdenschutzhunde kann man das Problem eindämmen. Schafe und Ziegen werden mit Abstand am häufigsten von Wölfen getötet. Angriffe auf Kälber und Fohlensind seltener. Da sie wesentlich „wertvoller“ sind als Schafe, ist das Konfliktpotenzial allerdings auch höher.

WOLFSSPUR: Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hat sich in einem Interview für die „beschränkte Abschussfreigabe“ ausgesprochen. Läuft der Wolf Gefahr, seinen Schutzstatus zu verlieren?
AXEL GOMILLE: Wölfe sind durch deutsches und europäisches Rechtstreng geschützt. Ein Abschuss zur Senkung der Population würde gegen geltendes EU-Recht verstoßen. Eine Debatte über eine Bestandsobergrenze für Wölfe ist also weder rechtlich zulässig noch sinnvoll, denn der Wolf ist noch immer eines der seltensten Säugetiere Deutschlands. Sein Bestand steigt zwar an, aber nicht explosionsartig, sondern innerhalb biologischer Regeln. Die Tiere besiedeln einfach geeignete Lebensräume. Außerdem ist die Entnahme einzelner Wölfe, die ein auffälliges oder sicherheitsrelevantes Verhalten zeigen, bereits heute erlaubt. Dafür ist es überhaupt nicht nötig, die derzeitig geltende Rechtslage zu verändern.
WOLFSSPUR: Die Medien erweckenden Eindruck, die Wölfe kämen dem Menschen immer näher. Wie gefährlich solche Begegnungen sein können?
AXEL GOMILLE: Es kursierten verschiedene Fälle in den Medien, bei denen Wölfe tagsüber und auf recht kurze Distanz zu sehen waren. Es besteht aller Grund zur Annahme, dass es sich bei diesen Wölfen um Tiere handelt, die positive Erfahrungen mit Menschen gemacht haben, etwa indem sie gefüttert wurden. Wenn Wölfe lernen, Menschen mit Futter in Verbindung zu bringen, dann könnte es irgendwann auch zu kritischen Situationen kommen. Deswegen darf man wildlebende Wölfe auf keinen Fall füttern. Meine Erfahrung ist aber eine ganz andere. Inzwischen bin ich etwa zweihundert Mal wild lebenden Wölfen in Deutschland begegnet. Dabei haben sich die Wölfe überaus scheu und vorsichtig gezeigt. Mein größtes Problem war es, die Tiere zu finden und unbemerkt zu bleiben. Wölfe haben ja viel bessere Sinne als wir. Wenn die Wölfe mich bemerkt hatten, liefen sie einfach weg. Ich war oft allein unterwegs, zu Fuß, im Dunkeln oder bin mehreren Wölfen gleichzeitig begegnet. Dabei gab es nicht eine brenzlige Situation.
Bildnachweise: Axel Gomille/Frederking & Thaler Verlag, Adobestock/Coudtail, Adobestock/Laszlo