Manchmal hilft ein Blick zurück: Im Mittelalter beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung einer Frau etwa 25 Jahre. Ein Mann wird damals 32 Jahre alt. Die geringe Lebenserwartung erklärt sich durch mangelnde Hygiene, schlechte Ernährung, damals unheilbare Krankheiten, harte Arbeitsbedingungen. Bei Frauen kommen die Risiken von Schwangerschaft und Geburt dazu. Und die Kindersterblichkeit ist unfassbar hoch. Erst mit der Industrialisierung und Dank des medizinischen und technischen Fortschritts steigt die Lebenserwartung kontinuierlich. Nach dem Statistischen Bundesamt 2017/ 2019 beträgt die Lebenserwartung neugeborener Jungen 78,6 und die der Mädchen 83,4 Jahre. Tendenz steigend. Besonders erfreulich: Die steigende Lebenserwartung ist mit einem Gewinn an gesunden, aktiven Jahren verbunden.
WIE WOLLEN WIR ÄLTER WERDEN?
Zugegeben, das Alter hat kein besonders gutes Image. Doch wer nur auf die Attribute der Jugend schaut, übersieht leicht die Vorzüge der späteren Jahre: Die Mühen der Lebensmitte, die Anforderungen aus Berufs- und Familienleben liegen hinter einem. Im Rentenalter ist endlich Zeit, die eigenen Bedürfnisse ins Auge zu fassen. Und die eigenen Bedürfnisse haben nicht selten etwas mit den Bedürfnissen anderer zu tun. Rentner engagieren sich in hohem Maß für die Gemeinschaft, betreuen Enkelkinder, helfen im Haushalt der Kinder aus, übernehmen Aufgaben im Ehrenamt oder organisieren wohltätige Projekte in den Gemeinden. Schon im fünften Altenbericht der Bundesregierung steht, »dass die Lebensphase ›Alter‹ nicht mit Krankheit und Unproduktivität gleichgesetzt werden kann, sondern Ältere bereits heute einen großen Beitrag zum gesellschaftlichen Wohlstand erbringen«.
Eines Tages werden wir alle sterben.
Charly Brown
Ja, aber an allen anderen Tagen nicht.
Snoopy
DIE VIELEN FARBEN DES ALTERS
Eine kleine Umfrage im Passauer Wolf Senioren-Zentrum Nittenau zeigt es: Man ist so alt, wie man sich fühlt! Ab wann habe ich mich alt gefühlt?
Auch eine Studie der Forschungsstelle sotomo mit knapp 9.000 Teilnehmern belegt: Nur jede siebte Person ab 70 Jahren bezeichnet sich selbst als alt. Hingegen schätzen 30Jährige schon Menschen ab 66 Jahren als alt ein. Diese Grenze steigt mit zunehmenden Jahren mehr und mehr nach oben, so dass sie immer über dem eigenen Lebensalter liegt. Je älter jemand ist, desto stärker unterscheidet sich zudem das gefühlte vom kalendarischen Alter. 75Jährige nehmen sich im Durchschnitt als 64 wahr. Den Traum von der ewigen Jugend träumt übrigens nur ein Drittel der Teilnehmer. Und unsterblich möchten nur 18 Prozent der Befragten sein.
WEISHEIT UND GELASSENHEIT
Ohne Zweifel nimmt die körperliche Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Alter ab. Doch bringen auch junge Lebensphasen Veränderungen und Verluste mit sich. In fortgeschrittenem Alter können »Entwicklung« oder »Veränderung« als lebenslanger Prozess gesehen werden. Mit den Jahren ist man krisenerprobt, steckt sich erreichbare Ziele und entwickelt eine größere Gelassenheit. Ältere haben gelernt, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden. Sie verfügen über bessere Selbstkenntnisse und müssen nichts mehr beweisen. Sie entwickeln Dankbarkeit für die schönen, kleinen und großen Momente. Bei manchen geht der Alterungsprozess mit dem Gewinn an Weisheit einher.
GEFÜHLTES, BIOLOGISCHES UND KALENDARISCHES ALTER
Über das gefühlte und das kalendarische Alter haben wir schon gesprochen. Beide sagen nicht unbedingt etwas über das biologische Alter, nämlich den körperlichen Alterszustand, aus. Bestimmte Altersmerkmale können durch einen gesunden Lebensstil, durch regelmäßige Bewegung, ausgewogene Ernährung bis ins hohe Alter verbessert oder stabil gehalten werden.
TEIL DES LEBENS
Wer lange leben will, muss altern. Aus biologisch-medizinischer Sicht bedeutet das, dass bestimmte Stoffe, Moleküle oder Zellen sich nur noch verlangsamt oder gar nicht mehr erneuern. Beispielsweise versteift sich allmählich das Kollagen, ein Eiweiß in den Bindegeweben. Organe oder Teile von Organen reduzieren ihre Größe, Organfunktionen verändern sich qualitativ und quantitativ. Die Körpersysteme funktionieren nicht mehr fehlerfrei. Die Leistungsfähigkeit nimmt ab. Das Immunsystem verliert an Stärke, weswegen ältere Menschen besonders anfällig für Infektionen, etwa auch mit dem Coronavirus, sind. Wie schnell oder langsam das Altern voranschreitet, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Dabei lassen sich nur etwa 20 bis 30 % dieses Prozesses auf eine genetische Veranlagung zurückführen. Deutlich größeren Einfluss auf den Alterungsprozess hat der individuelle Lebensstil
ES BEGINNT IN JUNGEN JAHREN
Der körperliche Alterungsprozess beginnt schon im jungen Erwachsenenalter. Beispielsweise nimmt mit etwa 20 Jahren die Produktion der Lungenbläschen ab. Das Atemvolumen wird kleiner, dadurch gelangt weniger Sauerstoff ins Blut. Ohne Training verlieren wir an Ausdauer. Bereits mit ca. 15 Jahren lässt die Elastizität der Augenlinse nach. Mit Mitte 40 wird es dann immer schwieriger, das Naheliegende scharf zu sehen. Die erste Lesebrille zieht bei uns ein und, weil sich die Melanin-Produktion verlangsamt, entdecken wir auch die ersten grauen Haare. Ab ca. 40 Jahren verringert sich auch die Stoffwechsel-Leistung. Bei Frauen sinkt der Östrogen, bei Männern der Testosteronspiegel. Der Energieverbrauch läuft auf Sparflamme und Muskelmasse wird abgebaut. Einen eindeutigen Zeitpunkt, an dem das Altern beginnt, gibt es also nicht. Organe altern unterschiedlich. Meistens zeigen sich aber um die 40 die ersten Verschleißerscheinungen.
EINE FRAGE DER HALTUNG
Gesellschaftlich ist das Alter bis heute leider meist mit negativen Assoziationen besetzt. Eine negative Haltung verstärkt auch persönliche Ängste, etwa vor Gebrechlichkeit, Verlust der Selbstbestimmung oder vor Krankheit und Tod. Aus medizinischer Sicht aber kann Alter nicht einfach nur auf Abbau, Verlust oder Defizite reduziert werden. Vielmehr ist das Alter – heute mehr denn je – ein eigener, lohnender Lebensabschnitt, in dem jeder für seine Gesundheit, seine körperliche und geistige Vitalität und seine soziale Einbindung Mitverantwortung übernimmt.
Uns sind Gespräche auf Augenhöhe wichtig – von Mensch zu Mensch. Ein respektvoller Umgang lässt das Alter außen vor. Jeder möchte ein selbstbestimmtes Leben führen. Darum geht es – und zwar bis ins hohe Alter.
Stephan Graeber, Chefarzt Neurologie und Geriatrie im Passauer Wolf Nittenau
SELBSTBESTIMMT LEBEN
Technik macht es leichter.
Möglichst lange in der gewohnten Umgebung wohnen zu können, das steht auf der Wunschliste vieler älterer Menschen ganz weit oben. Nehmen die Kräfte im Alter ab und die Hilfebedürftigkeit zu, unterstützen Angehörige oder ambulante Dienste dabei, den Alltag in den eigenen vier Wänden zu bewältigen. Vor der Verwirklichung sind aber meist noch einige Hürden zu überwinden: Wohnungen sind höchst selten seniorengerecht ausgestattet, die Berufstätigkeit von Angehörigen lässt sich nur schwer mit einer zuverlässigen Unterstützung vereinbaren und der gravierende Mangel an Pflegekräften ist auch in ambulanten Diensten deutlich spürbar. Gibt es weitere Möglichkeiten? Die Technische Hochschule Deggendorf (THD) hat ein Forschungsprojekt ins Leben gerufen, das vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege gefördert wird. Es heißt DeinHaus 4.0 und erforscht technisch-digitale Lösungen, die ein selbstbestimmtes Leben im gewohnten Umfeld unterstützen. In Musterwohnungen können die entsprechenden Hilfsmittel besichtigt und ausprobiert werden (coronabedingt ist das derzeit virtuell möglich: https://deinhaus40.de/virtuellerrundgangmusterhaus). Dien Haus 4.0 soll dazu beitragen, Berührungsängste und Vorbehalte gegenüber neuer Technik abzubauen und die Akzeptanz für digitale Assistenzen in der Bevölkerung zu erhöhen.
WAS DIGITALE ASSISTENZDIENSTE ÜBERNEHMEN KÖNNEN
Dien Haus 4.0 übernimmt digitale Erinnerungen oder Benachrichtigungen, sendet Signale bei offen gelassenen Fenstern oder Türen, gibt Angehörigen oder Pflegekräften einen Überblick über die Gesundheitssituation von Pflegebedürftigen oder schlägt z. B. via Tablet die Brücke zur Telemedizin. Projektpartner von DeinHaus 4.0 sind der Passauer Wolf Bad Griesbach und der Passauer Wolf Bad Gögging.
SICHER MOBIL
Ärzte und Therapeuten des Geriatrie-Zentrums Erlangen im Malteser Waldkrankenhaus St. Marien haben ein Programm zur Verbesserung der Mobilität und Sicherheit von Senioren ab 65 Jahren entwickelt. Es heißt MoSi®. Durch ein fünfwöchiges Trainingsangebot mit zehn Übungseinheiten wird nicht nur die Gangsicherheit verbessert und somit Stürzen vorgebeugt. Die altersgerechten Übungen bauen auch Kraft auf, verbessern die Beweglichkeit, die Koordinationsfähigkeit, die Balance und das Reaktionsvermögen. Und machen in kleinen Gruppen auch Spaß. Ziel ist es, die Lebensqualität bis ins hohe Alter zu erhalten.
Der Passauer Wolf Bad Gögging ist MoSi®Programmpartner und bietet die zertifizierten Kurse in Bad Gögging an. An den Kursgebühren beteiligen sich die Krankenkassen. Für Zeiten, in denen sich Gruppenaktivitäten verbieten, gibt es übrigens MoSi® to go. Damit können Sie auch zu Hause üben: mosi-training.de MoSi® wird im Rahmen der Initiative Gesund.Leben.Bayern des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege gefördert.
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