»Resonanz ist das Versprechen der Moderne – Entfremdung ist ihre Realität.«
Hartmut Rosa
Die Frage nach dem Sinn unseres Lebens ist für den Jenaer Soziologieprofessor und Autor Hartmut Rosa eng verbunden mit der menschlichen Sehnsucht nach »resonanten« Beziehungen. In seinem Werk »Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung« macht sich der Autor auf die Suche nach Auswegen aus dem bedrängten Leben, aus Beschleunigung, Wettbewerb, Überforderung, Aggression und Angst. Der Schlüssel zu einem »guten Leben« heißt für Hartmut Rosa »Resonanz«.
Jeder kennt sie: Momente, die uns tief berühren. können Begegnungen mit Freunden sein, ein Spaziergang im Wald, das Einlassen auf Musik, ein Buch, ein Das – Gebet. Wir fühlen uns verbunden mit der Welt, den Menschen, den Dingen, der Natur, zwischen uns passiert etwas, ein Austausch wird spürbar, die Welt antwortet uns. »Das hat etwas mit mir gemacht«, so beschreiben viele Menschen die Veränderung, die sich durch solch tiefe Verbundenheit einstellt.
Verbunden sein
Eine gefestigte Weltbeziehung schenkt uns Energie, Sicherheit, Strahlkraft. Sie findet ihren äußeren Ausdruck in unserer Haltung, in der Art wie wir stehen, gehen, tanzen. Wie wir sprechen, singen, lachen, weinen. Unser Inneres ist in gutem Kontakt mit der äußeren Welt. Wir atmen die Welt ein. Und wieder aus. Ist unsere Weltbeziehung aber gestört, stockt uns der Atem, der Kopf hängt, unsere Stimme wirkt teilnahmslos, der Blick stumpf.
Beziehungsstörung
Unsere moderne, westliche Welt ist auf Wachstum angelegt, auf Beschleunigung, Optimierung, Steigerung, Ausdehnung. Es geht noch weiter, schneller, höher. Wie allen Anforderungen genügen? Zeit, um am Bach spazieren zu gehen, den Vögeln zuzuhören, für ein ehrliches Gespräch bleibt selten. Unsere Beziehung zur Welt leidet, verliert ihre Kraft. Die Welt antwortet nicht mehr.
Und gerade deshalb ist Resonanz eine Alternative zu Wachstum, Beschleunigung und Nutzenorientierung. »Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung«, sagt Hartmut Rosa. Menschen sind auf Resonanz (von lat. resonare: widerhallen) angewiesen. Resonanz meint eine tiefe Verbundenheit, ein wechselseitiges Sich-Einschwingen aufeinander. Ohne Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Hinwendung ist Resonanz nicht möglich. Resonanz hilft uns, zu wachsen, uns zu orientieren, unseren Platz zu finden in der Welt.
Wenn wir mit Menschen in Resonanz treten wollen, müssen wir uns absichtslos aufeinander einstimmen. Wir verfolgen kein Ziel, sondern haben vielleicht ein Anliegen, eine Beobachtung oder eine Frage, die unser Gegenüber berührt oder interessiert. Wir treten in Resonanz, wenn wir uns dem anderen Menschen öffnen und uns darauf einlassen, nicht zu wissen, welches Ergebnis uns das bringt. Scheitern inbegriffen.

… und lasse, was dem Höchsten klingt, aus meinem Herzen rinnen.
Paul Gerhard
DREI ACHSEN DER WELTBEZIEHUNG
Hartmut Rosa spricht von einem Resonanzraum und ordnet die Bezugspunkte für Resonanzerlebnisse auf drei Achsen an:
Horizontale Resonanzachse
Hier finden unsere Begegnungen und Beziehungen zu anderen Menschen statt, Freundschaften, Liebes- und Familienbeziehungen oder auch ergebnisoffene, demokratische Beziehungen im politischen oder gesellschaftlichen Raum.
Diagonale Resonanzachse
Hier ordnet Hartmut Rosa unsere Beziehungen zu Dingen oder Tätigkeiten an, etwa zur Arbeit, zur Schule, zu einem Hobby oder zu einem Werkzeug oder Material.
Vertikale Resonanzachse
Hier liegen unsere kulturellen Beziehungsräume, die Natur, die Kunst in allen ihren Ausprägungen, die Geschichte oder Religion und Spiritualität.
In all diesen Zusammenhängen sind Resonanzerfahrungen möglich. Dem gegenüber stehen stumme oder instrumentelle Beziehungen, in denen es vorrangig um das Erreichen von zweckdienlichen Zielen geht. So kann beispielsweise eine Wanderung mit der tiefen Einlassung auf die Natur, auf die Landschaft, den Wind, den Weg eine intensive Resonanzerfahrung auslösen. Ist sie aber eine zweckgebundene oder ehrgeizige Unternehmung, wird sich kaum eine Resonanzerfahrung einstellen. Die Welt bleibt stumm. Ein gutes, gelingendes Leben hängt von der Qualität unserer Weltbeziehung ab – und nicht von der Anhäufung von Ressourcen oder Optionen, zeigt Hartmut Rosa. Resonanz ist eine liebevolle, offene Ausrichtung auf die Welt. Wir berühren und beeinflussen uns wechselseitig.
HARTMUT ROSA
1965 in Lörrach geboren, schließt Hartmut Rosa sein Magisterstudium in Politikwissenschaft, Philosophie und Germanistik an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg mit Auszeichnung ab. Er promoviert an der Humboldt-Universität in Berlin »summa cum laude« und wird wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Mannheim und Jena. Dort habilitiert er sich für Soziologie und Politikwissenschaft mit der Studie »Soziale Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne«. Heute ist Hartmut Rosa Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena und Direktor des Max-Weber-Kollegs in Erfurt. Für seine Arbeiten erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Tractatus-Preis, den Erich-Fromm-Preis, den Paul-Watzlawick-Ehrenring und die Werner Heisenberg-Medaille der Alexander von Humboldt-Stiftung.
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