Das größte Problem für Menschen, die einen schweren Unfall erlebt haben, ist es, die Angst zu überwinden, so ein Unglück könnte sich wiederholen. Diesen Menschen möchte Denis Holzkamp Mut machen.
In den 90er-Jahren gehört Denis Holzkamp zu den erfolgreichsten deutschen Fechterinnen. Zu ihrem Erfolg ist die gebürtige Berlinerin buchstäblich gezwungen worden. Wegen Wachstumsproblemen hat sie als 14- Jährige mit dem Modernen Fünfkampf aufhören müssen. Sie wechselt zu den Fechtern und geht nach Tauberbischofsheim ins Fechtinternat. Ihre Trainerin, Ruth Osyczka, beschreibt sie als »fleißig, ehrgeizig, konsequent und nervenstark«. 1995 zwingt ein Riss des Syndesmosebandes und der Achillessehne die junge Degenfechterin zu einer einjährigen Verletzungspause. Aber Denis Holzkamp verliert nicht den Mut und bietet der drohenden Sportinvalidität die Stirn.
1998 nimmt die damals 25-Jährige an den 46. Fechtweltmeisterschaften in La Chaux-de-Fonds in der Schweiz teil und zieht ins Finale ein. Sie unterliegt der damaligen Olympiasiegerin Laura Flessel und wird Vizeweltmeisterin im Einzel. Im selben Jahr wird sie mit der Mannschaft in Plowdiw, Bulgarien, Europameisterin. Nach den XXVII. Olympischen Sommerspielen 2000 in Sydney, Australien, muss Denis Holzkamp aufgrund vieler Verletzungen und einer längeren Krankheit dem Profi-Fechtsport den Rücken kehren: »Den größten Mut hat es mich gekostet, unfreiwillig einen Schlussstrich unter das Thema Spitzensport zu ziehen. Dieser Lebensschritt war für mich als Medaillenträgerin bei WM und EM, aber ohne eine olympische Medaille, zu diesem Zeitpunkt noch unvollendet. Trotzdem den Schritt zu gehen, dem kaputten Körper Tribut zu zollen, war sehr schwer für mich.«
BREITENSPORT TRIATHLON
Danach stellt sich für die Betriebswirtin die Frage, mit welchem Sport sie zum besten Wohle ihres Körpers abtrainieren kann. So kommt sie recht schnell zum Triathlon. Hier fällt es ihr nicht schwer, sich im Breitensport einzufügen und ohne Leistungsgedanken wieder Freude am Sport zu haben: »Wäre ich dem Fechtsport als sogenannte ›Veteranin‹ treu geblieben, wäre dies sicher nicht möglich gewesen.« 2019 meldet Denis Holzkamp sich zur Teilnahme am Ironman 70.3 in Remich an, in der malerischen Moselregion in Luxemburg. Ironman – das sind 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42 km Laufen. Auf den Start im Juni bereitet sie sich im März auf Mallorca vor. Dabei kommt es zu einem folgenschweren Rennradunfall. Der Unfallhergang lässt sich im Nachhinein nicht mehr genau rekonstruieren. Denis Holzkamp hat keinerlei Erinnerungen an das Unglück. Fest steht, dass sie wegen eines technischen Defekts an ihrem Rennrad mit etwa 30 km/h mit dem Kopf voran gegen eine Mauer prallt und anschließend in einen drei Meter tiefen Steingraben stürzt. Eine Verkettung unglücklicher Umstände mit großem Glück im Unglück, wie sich später herausstellen wird. Denis Holzkamp kommt erst nach Ankunft des Rettungswagens wieder zu Bewusstsein. Sie sieht sich selbst im Graben liegen und kann sich nicht rühren: »Sich im ersten Moment des Aufwachens nicht bewegen zu können und nicht zu wissen, was in und an einem kaputt ist, war ein grauenvolles Gefühl.« Drei Tage verbringt die Verletzte in einem Krankenhaus auf Mallorca, bevor sie die ADAC Luftrettung nach Deutschland transportiert. Im Klinikum Ingolstadt fühlt sich Denis Holzkamp bei Prof. Dr. med. Michael Wenzl und Dr. med. Robert Morrison in den besten Händen. Hier erhält sie recht schnell eine endgültige Diagnose. Dabei hat sie unglaubliches Glück im Unglück, und es ist sicherlich auch ihrer guten körperlichen Kondition zu verdanken, dass sie so glimpflich davongekommen ist. Die wesentlichen Verletzungen waren der Abbruch eines Dornfortsatzes an der Halswirbelsäule sowie mehrere Schädigungen an der Schulter. Jedenfalls können die Mediziner ihr versichern, dass alle Verletzungen mit der Zeit und dem Mut zur Geduld heilen werden.
Ich werde wieder an einem Triathlon teilnehmen.
DER MENSCH ZÄHLT
Die umfangreichen Reha-Maßnahmen im Passauer Wolf sind darauf ausgerichtet, die vorhandenen Bewegungseinschränkungen deutlich zu reduzieren und die Belastbarkeit des Körpers wieder herzustellen. Mit Erfolg! Die Olympiateilnehmerin ist von Anfang an sehr engagiert und optimistisch. Sie erkennt sofort, was sie machen muss. Dies ist der Vorteil von ehemaligen Leistungssportlern gegenüber normalen Patienten. Sie haben vor der Verletzung einen großen Bewegungsschatz. Die Erfolge stellen sich schneller ein, da sich die Muskeln besser reaktivieren lassen. Andererseits muss man solche energiegeladenen Menschen manchmal eher bremsen. Denis Holzkamp ist im Nachhinein sehr froh, dass sie sich für die Reha-Einrichtung Passauer Wolf in Ingolstadt entschieden hat: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass mir andernorts fachlich besser und schneller hätte geholfen werden können. Darüber hinaus ist mir lange nicht so viel Herzlichkeit und Menschlichkeit wie von diesem kompletten Team in meinem Leben begegnet. Außerdem haben viele der Ärzte und Therapeuten dort eine hohe Affinität zum Sport.« Das Zusammenspiel all dieser Werte kommt dem Genesungsverlauf enorm zugute und hat auch im Nachgang einen sehr positiven Einfluss auf die Patientin. Die ehemalige Leistungssportlerin nimmt die neuen Herausforderungen an. Die Therapeuten bringen sie dazu, Dinge auszuprobieren, die sie sonst vielleicht nicht getan hätte. Und sie ist mutig genug, alles zu versuchen, denn: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und gewinnen möchte Denis Holzkamp noch immer.
ZURÜCK IN DEN SATTEL
Das größte Problem ist die Angst. Erst kürzlich ist Denis Holzkamp zum ersten Mal wieder auf ihr Stadtrad gestiegen. Im ersten Augenblick hat sie das viel Mut und Kraft gekostet. Es gibt immer wieder Momente, in denen ihre Gedanken auch abseits des Fahrrads von Ängsten vor einer möglichen Wiederholung des Unfalls beherrscht werden: »Mein Ziel ist es, den Mut zu haben, mich weder davon noch von den Ängsten und vermeintlich vernünftigen Vorgaben aus dem privaten und beruflichen Umfeld bestimmen zu lassen. Ich will weiterhin an den Dingen festhalten, die mir im Leben Freude bereiten. Dazu wird sicherlich auch die Teilnahme an einem Triathlon gehören.«
Bildnachweis: privat; Birgid Allig; Eva-Maria Michel