Bestsellerautor Werner Tiki Küstenmacher bringt mit seinen Büchern den Lesern die Kraft der Einfachheit bei: »Simplify your life« wurde in mehr als 40 Sprachen übersetzt. für den Passauer Wolf beschäftigt er sich mit der Sache mit dem Mut – und stellt uns Limbi vor. Ein System in unserem Gehirn, dass ziemlich viel zu sagen hat. Wie bringen wir ihm bei, mit uns zusammen mutig zu sein?
Mutig sein – das wirkt auf den ersten Blick wie eine Emotion: Der eine ist mutig, der andere ängstlich. Oder ist Mut eine persönliche Eigenschaft? Es gibt mutige Menschen, und es gibt zögerliche, zaudernde. Tastet man sich ein wenig zurück in der Sprachgeschichte des Wortes »Mut«, kommt man auf eine bemerkenswerte Spur. »Mut« leitet sich ab von dem alten indogermanischen Verb »mo«, das »sich mühen« bedeutet. Der althochdeutsche Begriff »muot« steht für die Kraft des Denkens und Wollens. In der Gesellschaft des frühen Mittelalters war »hoher muot« ein zentrales ritterliches Ideal: klar, entschlossen und entschieden sein. Ein wahrer Ritter »ohne Furcht und Tadel« kämpft mutig gegen das Unrecht und stellt all seine Kraft den Hilfsbedürftigen zur Verfügung. Mit dem Niedergang des Rittertums zur gewalttätigen Unkultur der Raubritter verfielen auch diese Wertbegriffe. Aus dem edlen »hohen muot« wurde der arrogante »Hochmut«, und das Prädikat »mutig« veränderte seine Bedeutung in Richtung »draufgängerisch«. Die tiefere Grundbedeutung von »Mut« als positiver Tugend ist in unserem Denken jedoch durchaus erhalten geblieben. Durch Beobachtungen aus der Neuropsychologie wird das bestätigt. Dazu muss ich etwas ausholen.
Das menschliche Gehirn lässt sich in drei grundsätzliche Bereiche aufteilen. Der entwicklungsgeschichtlich älteste Teil ist der Hirnstamm, den wir gemeinsam haben mit den Reptilien. Hier werden blitzschnell lebenswichtige Entscheidungen getroffen wie etwa Flucht oder Angriff. Evolutionär jünger ist das emotionale Gehirn, das aus mehreren eigenartig geformten Strukturen besteht, die nach ihrer Form benannt werden: Mandelkern, Seepferdchen (Hippocampus), Wölbung (Fornix) usw. Alle Säugetiere haben diese Art von Gehirn, weshalb man es auch das »kleine Säugetiergehirn« nennt. Da es am inneren Rand (lateinisch »limbus«) des Großhirns sitzt, bezeichnet man es als limbisches System.
Diese beiden archaischen Hirnbereiche agieren weitgehend als Einheit. Ich stelle sie mir vor wie ein kleines Säugetier, das ich der Einfachheit halber »Limbi« nenne. Um Limbi herum schließlich wölbt sich die Großhirnrinde, auf Lateinisch »Neocortex«. Das ist der Teil des menschlichen Gehirns, der den meisten Platz in unserem Schädel beansprucht. Die Großhirnrinde ist das komplexeste in der Natur vorkommende Gebilde und erst in Ansätzen wirklich erforscht. Hier sitzen unser Verstand und das Bewusstsein – die einzigartige Fähigkeit, dass wir über uns selbst nachdenken und »Ich« sagen können.
Viele Menschen empfinden ihr limbisches System wie eine fremde Macht, die in ihrem Inneren wirkt und sich nicht wirklich steuern lässt. Die meisten kennen ihr inneres kleines Säugetier unter dem Namen »mein innerer Schweinehund«. Sie versuchen, dieses störrische Haustier zu Handlungen zu zwingen, die sie in ihrem Verstandeshirn beschlossen haben. »Zwing dich!« sagen sie, und: »Reiß dich zusammen!«
Neurowissenschaftler sind sich einig, dass sich Limbis starke Gehirnströme nicht mit dem Willen ausschalten lassen. Sie müssen also kein schlechtes Gewissen haben, wenn es Ihnen nicht gelingt, Ihren »inneren Schweinehund« mit Gewalt zu etwas zu bewegen, das er nicht mag. Die Impulse des limbischen Systems sind den Gehirnströmen der Großhirnrinde schlicht und einfach überlegen.
Viel effektiver wäre es, Limbis Power zu nutzen und die eigenen Ziele so zu formulieren, dass Limbi mit der Großhirnrinde kooperiert. Das ist möglich und wird auch zunehmend in der Motivationsforschung erkannt. Es bedeutet allerdings keineswegs, dass Limbi allein das Sagen hat! Was uns zu Menschen macht, ist das Vorhandensein beider Systeme: Emotion und Verstand.
Der US-Psychologe Paul Ekman hat eine Art Landkarte von Limbis Emotionen erstellt und fand diese sieben, die Menschen mit dem Gesicht ausdrücken können. In zahllosen Experimenten ließ sich nachweisen, dass bei jeder dieser Grundemotionen bestimmte Regionen im limbischen System aktiv sind. Mut aber ist nicht dabei. Er gehört zu den komplexeren Aktionen, bei denen Verstand und Emotion zusammenarbeiten. Am besten stellt man sich es so vor, dass das limbische System bei bestimmten Vorstellungen der Großhirnrinde Chemikalien produziert, mit denen Körper und Gehirn gesteuert werden. Ein besonders wichtiger dieser sogenannten Botenstoffe ist Dopamin. Es wirkt euphorisierend und schmerzlindernd und funktioniert wie die sprichwörtliche Karotte, die man einem Pferd vor die Nase hält, damit es sich in Richtung Karotte bewegt.
Es ist ein Zeichen innerer Reife und Autonomie, wenn einem das Kunststück gelingt, sich solche Anreize selbst zu setzen. Als man diese Zusammenhänge entdeckte, war das eine Sensation: das Gehirn als kleine Apotheke, die allein durch Gedanken Medikamente erzeugt! Dieser famose Mechanismus enthält für mich das Geheimnis von Mut. Am Anfang steht ein Beschluss, eine Idee, eine lebhafte Vorstellung: Ich will mit meinem Schwert den Drachen töten; ich will fünf Kilo abnehmen; ich will Gitarre spielen können; ich will die Krankheit besiegen. Als Belohnungskarotte genügt oft ein winziges, aber emotional erregendes Detail: die Vorstellung, als Drachentöter von der Prinzessin geküsst zu werden; vorm Spiegel zu stehen und seinen Bauch nicht mehr zu hassen; Applaus nach einem Stück zu bekommen; ohne Schmerzen im Freien zu wandern … Um zu diesem ersehnten Ziel zu gelangen, nimmt man gerne große Strapazen auf sich. Und der Treibstoff, der einen unterwegs mit Energie versorgt, ist das leckere Dopamin.
Das produziert Limbi, wenn er die damit verbundene Vorstellung attraktiv findet. Ist der Beschluss aber die Idee eines anderen und lässt Limbi emotional kalt, produziert er es nicht. Darin steckt die ganze Urgewalt und das ganze Dilemma von Mut: Man kann ihn sich nicht verordnen. »Ich sollte jetzt mutig sein« hilft nichts. Dopamin entsteht nur, wenn Limbi und Großhirnrinde einig sind und aus tiefstem Herzen sagen: »Ja, ich will mutig sein!« Eine wichtige Voraussetzung zum Mutigsein ist die Fähigkeit, sich das ersehnte Ziel so plastisch wie möglich vor Augen zu führen. Man nennt das auch die Kraft der Visualisierung.
Können sie sich vorstellen, am Ende der anstrengenden Reise glücklich am Strand zu liegen? Wenn ja, werden Sie gerne das Geld, die Zeit und den Willen aufbringen, dorthin in den Urlaub zu fahren. Hirnforscher haben noch einen Zusammenhang entdeckt, der Ihnen auf dem Weg zum Mutigsein helfen kann. Man könnte es »Mut proben« nennen, also das ersehnte Ziel probeweise einmal vorwegzunehmen. Der entscheidende Entdecker heißt Antonio Damasio, ein in den USA lehrender portugiesischer Neurobiologe. Er fand heraus, wie Limbi seinem Menschen seine Emotionen mitteilt. Es ist verblüffend einfach: Limbi verwendet dazu den Körper seines Besitzers. Geht es Limbi gut, fühlt sich sein Eigentümer gesund. Geht es Limbi schlecht, hat er (oder sie) Schmerzen. Damasio erfand dafür den Begriff »somatische Marker«.
»Soma« ist Griechisch und heißt Körper, »Marker« ist ein deutlich spürbares Zeichen. Den hier dargestellten Marker »Ich hab Rücken« kennt wohl jeder. Es können auch Kopfschmerzen sein, Beschwerden im Magen-Darm-Bereich oder in den Gelenken, Ekzeme auf der Haut usw. Wer gelernt hat, auf seinen Körper zu hören, kann Limbis Signale entschlüsseln. Rückenschmerzen heißen übersetzt »Bürde dir nicht so viel auf«, Hautreizungen stehen für »Lass das nicht so nah an dich heran« …
Die gute Nachricht: Limbis Marker funktionieren in beiden Richtungen. Indem Sie Ihrem Körper etwas Gutes tun, tun Sie auch etwas für Ihren Limbi. Probieren Sie es aus, indem Sie beim Einschlafen lächeln (und zwar nicht verkrampft, sondern ganz locker und natürlich – Sie merken es an den Ringmuskeln um Ihre Augen, die sollten spürbar mitlächeln): Die Lächelmuskeln drücken auf Sensoren, die direkt zum limbischen System führen und ihm signalisieren: Alles ist ok. Falls Sie vorher über die Fehler des vergangenen und die Probleme des kommenden Tages gegrübelt haben, werden Sie merken: Lächelnd ist solches Gegrübel fast unmöglich. Lächelnd werden Sie viel besser einschlafen als mit einem sorgenvoll zerknitterten Gesicht.
Ganz ähnlich geht das mit dem »Mut proben«. Wenn Sie eine schwere, Angst einflößende Aufgabe vor sich haben, wechseln Sie probeweise aus der Körperhaltung der Angst in die Haltung, die Sie einnehmen würden, wenn Sie den Drachen erfolgreich getötet / den Schmerbauch verloren / souverän das Konzert vollendet / die Krankheit hinter sich gelassen hätten. vielleicht gelingt das nicht aufs erste Mal. Aber beim zweiten oder dritten Versuch klappt’s. Bitte geben Sie nicht auf. Nur Mut!
KÜSTENMACHERS RITUALE FÜR WILDE ZEITEN
Glücklicher und einfacher leben ist keine aussichtslose Aufgabe. Tiki Küstenmacher hat eine einfache Meditation entworfen. »Du hast es in der Hand!« ist ein erprobter Mix an Maßnahmen, der die gesamte Persönlichkeit umfasst: Umgebung, Körper, Gedanken, Gefühle und Spiritualität. Probieren Sie es aus: So finden Sie in Stresssituationen den Weg zu Gelassenheit.
Ringfinger – sich von etwas befreien
Werfen Sie etwas weg, räumen Sie etwas auf, schaffen Sie irgendeine äußerliche Ordnung. Indem Sie etwas an ihrer Außenwelt verbessern, tun Sie stets auch etwas Gutes für ihre Innenwelt. Das kann auch etwas Nichtmaterielles sein: eine Verpflichtung, von der Sie dachten, sie sei so wichtig – aber jetzt, wenn Sie sie endlich losgelassen haben, fühlen Sie sich frei.
Kleiner Finger – kleine Flucht
Tun Sie etwas, um der stressigen Situation für einen kurzen Moment zu entkommen: eine humorvolle Bemerkung machen, ins Freie gehen und nach oben blicken oder sich innerlich an einen anderen, einen schöneren Ort zurückziehen. Wichtig: Die Flucht darf nur klein sein. Sie sollen nicht dem Problem davonlaufen, sondern innerlich kurz Abstand gewinnen.
Mittelfinger – die Mitte finden
Notfalls ganz wörtlich: Denken Sie an die Mitte ihres Körpers. Tun Sie ein paar bewusste Atemzüge, empfinden Sie sich als Mitte der Welt, und alles andere ist Peripherie. In Krisensituationen ist ihre Mitte draußen, ganz beim Problem, Sie konzentrieren sich auf den Mangel, die Sorge, den Konflikt. Der Mittelfinger lenkt ihre Aufmerksamkeit zurück auf Sie selbst: ihr Leben, ihre Gesundheit, ihr Frieden. Was auch immer geschieht – es bleibt ihre freie Entscheidung, wie Sie sich dazu verhalten.
Zeigefinger – das Ziel sehen
Wenn Sie die Ruhe ihrer inneren Mitte wiedergefunden haben, dürfen Sie dort aber nicht versinken. Jetzt geht es darum, einen Ausweg zu suchen. Planen Sie den nächsten Schritt, nicht viel mehr.
Daumen – handeln und lieben
Tun Sie etwas. Selbst wenn es zunächst nur das Anspannen ihrer Fußmuskeln ist. Handeln Sie. Machen Sie den geplanten nächsten Schritt.
Tiki Küstenmacher beim Passauer Wolf
Zum 40-jährigen Jubiläum und der Eröffnung der Passauer Wolf Lodge & Therme in Bad Griesbach war der Bestsellerautor mit seinen Zeichnungen zu Gast.
Um zu verstehen, was in unserem Hirn geschieht, wenn wir neue oder gar unbequeme Dinge wagen – dafür ist Tiki Küstenmacher und sein »Limbi« perfekt. Der Münchener Autor und Karikaturist erzählte während der Jubiläums- und Eröffnungsfeier nicht nur vom limbischen System, von Abenteuern und wie es gelingt, sich auf sie einzulassen – er zeichnete während seiner Rede auch die dazu passenden Karikaturen. So sorgte er dafür, dass die Aufmerksamkeit voll und ganz bei ihm blieb. Für seine Zuhörer und Zuschauer war nach dem Vortrag klar: Jeder sollte seinem »Limbi« eine passende Karotte vorhalten, um seine Ziele zu erreichen. Denn: »Der Weg zum Glück führt durch das Gehirn!«
Illustrationen: Tiki Küstenmacher