Nur etwa drei bis vier Minuten dauert eine Arztvisite in deutschen Krankenhäusern. Dabei ist die Redezeit des Arztes übrigens doppelt so lang wie die des Patienten. Zudem wird jedes zweite Arzt-Patienten-Gespräch unterbrochen. Wie soll – unter solchen Bedingungen – ein vertrauensvolles Gespräch entstehen? Dr. med. Oliver Meier, Chefarzt der Neurologie im Passauer Wolf Bad Griesbach, hat eine andere, zugegeben ungewöhnliche Form der Kommunikation zwischen Arzt und Patienten eingeführt. Wir nennen sie »Walk of life«.
In Bewegung kommen
Mittwoch, 11 Uhr. Dr. Meier holt Herrn B. zu einem kleinen Spaziergang im Kurpark ab. Die beiden wollen über den bisherigen medizinisch-therapeutischen Verlauf sprechen. Das fällt beim Gehen leichter. Kein trennender Schreibtisch steht dabei zwischen ihnen, kein Telefonklingeln stört. Die hierarchische Distanz, die oft zwischen Arzt und Patienten liegt, schmilzt förmlich beim Gehen. Das Arzt-Patienten-Gespräch wird zu einem Gespräch zwischen Mensch und Mensch.
Gehen bringt Denken und Fühlen in Gang
Beim gemeinsamen Spazierengehen wird es einfacher, zu einem guten, offenen Kontakt zu finden. Was motiviert den Patienten, was ist ihm wichtig, welche Ziele hat er sich gesteckt? Womit könnte man ihm während des Aufenthalts eine Freude bereiten? Bewegung und frische Luft machen wacher und aufmerksamer. Auch Zwischentöne werden wahrnehmbar. Der Gesprächsfokus wandert allmählich von den Beeinträchtigungen zu den kleinen und größeren Erfolgen. Zuversicht wächst. »Das wird schon« ist so ein Gedanke, der sich beim Gehen leichter als im Sitzen einstellt.
Spazierengehen baut Stress ab
Dazu kommen alle guten Nebeneffekte der Bewegung an der frischen Luft: Der Kopf wird frei, die Stimmung besser, Stress wird abgebaut. Das tut nicht nur dem Patienten, sondern auch dem Arzt gut. Im Sommer gesellt sich fast täglich ein Begleiter zu den Spaziergängern. Man sieht ihn nie, aber er lässt sich hören: »göö-gock«, »kotock«. Das muss ein männlicher Fasan sein! Magic moment!
Vertrauen beschleunigt
Dr. med. Oliver Meier ist Chefarzt der Neurologie im Passauer Wolf Bad Griesbach. Hier hat er vor einem halben Jahr den »Walk of life« eingeführt, Arzt-Patienten-Gespräche, die beim Spazierengehen stattfinden. »Zunächst war das ein Versuch. Ich wollte die traditionelle Visite im Arztzimmer in Bewegung bringen«, sagt er.
Und? Das hat funktioniert. Für mich sehr wertvoll dabei: Man kann sich beim Walk ganz anders kennenlernen. Der Patient aus Zimmer 12 geht da als Mensch mit all seinen Geschichten, Erfahrungen und Hoffnungen mit einem durch den Park. Das stellt sofort Nähe her. Die Gespräche sind offener, tiefer, schließen das Private mit ein. Man begegnet sich auf Augenhöhe.
Wie schaffen Sie es, diese Spaziergänge in Ihrem Alltag unterzubringen?
Ein Gespräch dauert genau 2.500 Schritte. Das ist immerhin ein Viertel meines persönlichen Tagesziels von 10.000 Schritten. Am Ende sage ich zu meinem Begleiter: »Das erste Viertel haben wir gemeinsam geschafft«. Das zaubert meinem Begleiter eigentlich immer ein Lächeln ins Gesicht. Ein Lächeln, das von Stolz und Ermutigung erzählt. Und von einer gestärkten Vertrauensbasis. Eine verlässliche Vertrauensbasis ermutigt aber nicht nur, sie reduziert auch Unsicherheiten, Unklarheiten oder Missverständnisse. Vertrauen beschleunigt.
Ihre nächste Überraschung?
Demnächst soll auch die Patientenakte mitspazieren. Dann kann ich zwischendurch einen Gedanken gleich an der richtigen Stelle niederlegen. Deshalb werde ich ein mobiles Tablet mit der digitalen Akte mitnehmen. Analoger Spaziergang – digitale Akte, das sind zwei, die gut zusammenpassen.
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