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Patientengeschichte: Manfred Graws härtester Aufstieg

Ein Mann mit Wanderstöcken steht in der Nähe eines Flusses

Für Manfred Graw sind die Berge sein Leben, seine Herausforderung und sein Rückzugsort. Circa 900 Touren, 2.000 Gipfelbesteigungen – bei dem 79-Jährigen vergeht kaum ein Wochenende, an dem er nicht seine Wanderschuhe schnürt. Wer den Bad Füssinger kennt, weiß: Ohne Bergwandern ist Manfred Graw nicht vollständig. Doch im Januar dieses Jahres schien ihm genau das genommen zu werden, als er während eines Wander-Urlaubs auf Gran Canaria einen Schlaganfall erlitt. Plötzlich ist der Weg nicht mehr der gewohnte Pfad durch die Berge, sondern ein steiniger zurück zu sich selbst. Manfred Graw gibt nicht auf. Mit einer zweimonatigen Reha im Passauer Wolf Bad Griesbach kämpft er sich zurück ins Leben – Schritt für Schritt, dorthin, wo die Berge auf ihn warten, auch wenn diese für ihn nun sehr viel kleiner geworden sind.

EINE BESONDERE VERBINDUNG

Dr. med. Oliver Meier, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Neurologie im Passauer Wolf Bad Griesbach, ist ebenfalls leidenschaftlicher Bergwanderer und wie Manfred Graw Mitglied des Deutschen Alpenvereins (DAV). Der Mediziner kann sich noch gut an das erste Aufeinandertreffen und die besondere Verbindung zu dem 79-Jährigen erinnern: »Manfred Graw zeigte direkt bei der Aufnahme deutliche Funktionsstörungen. Er wirkte sehr gefasst, dennoch hatte er Angst, dass er sein bisheriges aktives Leben, insbesondere seine Bergtouren, nicht mehr machen könne. Auffällig war aber, dass er sofort im Team integriert war. Er zeigte höchste Motivation und hatte klare Ziele vor Augen. Man merkte seinen erwachten Sportsgeist. Wir waren außerdem schnell im Gespräch über unsere Erfahrungen und Eindrücke um den Berg vertieft.« Manfred Graw war entschlossen und bereit, alles dafür zu geben, um seine Gehfähigkeit und Mobilität wiederzuerlangen. Denn neben dem sehnlichsten Wunsch wieder Berge besteigen zu können, will er weiterhin als Architekt arbeiten.

DER LANGE WEG ZURÜCK

Er ließ sich auf alle Therapien ein, auch wenn diese zunächst unsinnig für ihn erschienen. Manfred Graw erinnert sich: »Ich konnte meine Hand überhaupt nicht bewegen und sollte bei einer Therapie Kies, Raps und Linsen fühlen. Ich fragte mich, was das bringen soll. Aber eine Stunde später konnte ich meine Finger wieder bewegen. Das war der Wahnsinn.« Auch haben ihm die innovativen Geräte, die im Passauer Wolf zum Einsatz kommen, sehr geholfen. »Mit dem Gangtrainer Lyra konnte ich zum ersten Mal seit dem Schlaganfall wieder aufrecht stehen und die ersten Schritte gehen.« Neben den zahlreichen Therapiegeräten beeindruckten Manfred Graw vor allem die Therapeut:innen. »Durch sie konnte ich mein Knie wieder strecken und hatte keinen Hüftknick mehr. Ich habe allerdings auch jede Trainingseinheit absolviert. Da gab es keine Diskussion, selbst wenn es noch so weh getan hat.« Was Manfred Graw auf dem Berg gelernt hat – Durchhalten, Einteilen, Vertrauen in den nächsten Schritt – half ihm in jedem Moment der Rehabilitation. »Als Bergwanderer hat man doch einen gewissen Ehrgeiz. Die Wanderung ist nicht auf dem Gipfel zu Ende, sondern erst, wenn man wieder unten am Auto ist. Das hat mir Extrembergsteiger Reinhold Messner beigebracht, den ich übrigens auch persönlich kenne«, lacht Manfred Graw.

KLIMAWANDEL UND KAMERADSCHAFT

Bereits in jungen Jahren fand Manfred Graw durch seinen Lehrer zum Bergwandern, eine Leidenschaft, die er mit seiner ersten Frau teilte. »Wir haben beide studiert und hatten kein Geld, was man beim Bergwandern aber auch nicht braucht«, erzählt der 79-Jährige. Mittlerweile habe er knapp 900 Touren gemacht, die allesamt in seinem Bergbuch verewigt sind. »Ich habe die Gewohnheit, dass ich dieselbe Tour öfter gehe. Ich war beispielsweise schon 35 Mal auf dem Staufen in den Chiemgauer Alpen«, sagt Manfred Graw, dessen zweite große Passion die klassische Musik ist. »Wenn ich nicht auf einem Berg bin, dann findet man mich in der Oper. Ich gehe um die 30 Mal im Jahr dorthin. Wir sind auch jedes Jahr bei den Salzburger Festspielen. Ich nehme so viele klassische Veranstaltungen wie möglich mit. Dort komme ich zur Ruhe und schalte ab.« Abschalten kann Manfred Graw auch beim Wandern: »Viele sagen, dass sie beim Wandern über ihre Probleme nachdenken. Ich tue das zum Beispiel nicht. Ich habe bei den schweren Touren keine Zeit zum Nachdenken. Und wenn ich mich leichttue, dann beschäftige ich mich mit der Natur. Durch das Wiederholen der Touren kann ich sehen, wie sich diese durch den Klimawandel verändert. Das ist schon eklatant.« Die Waldzone wandert nach oben und viele Wege sind teilweise schon weggespült. Auch der DAV habe sich verändert. »Wir haben damals, als ich noch in der Vorstandschaft war, Jugendarbeit betrieben, da der Bergsport mehr Jugendliche als heute begeisterte. Trotzdem ist der Zusammenhalt weiterhin einmalig«, betont Manfred Graw. Dies habe er auch nach seinem Schlaganfall gemerkt, als ihn seine Kameraden bei der Reha zahlreich besuchten. »Das hat mir Kraft gegeben. Ich bin sowieso durch den Schlaganfall viel sensibler geworden.« 

Die Mitarbeiterin des Rehabilitationszentrums hilft einem älteren Mann beim Treppensteigen.
Ein älterer Mann macht Reha-Übungen auf einem Trainingsgerät.

MOBILITÄT IST EIN PRIVILEG

Auch habe sich seine Einstellung zu vielen Dingen geändert. »Früher war das Gehen für mich selbstverständlich. Heute weiß ich, dass es ein Privileg ist. Nur durch Fleiß und kontinuierliches Training habe ich meine Gehfähigkeit wiedererlangt und meine Koordination verbessert«, ist Manfred Graw stolz. Auch Dr. med. Oliver Meier ist beeindruckt von seiner Entwicklung: »Manfred Graw war fokussiert, offen und kooperativ, wie in einer Seilschaft, ohne an sich und uns zu zweifeln. Ihm war bewusst, dass wir den Gipfel nur über einen steinigen Weg gemeinsam erreichen werden. Das war sehr vorbildlich. Wir werden über den DAV in Kontakt bleiben und sicher mal gemeinsam touren.« Manfred Graws Reha-Ziel, Anfang Mai eine Führung zu machen, habe er mithilfe von Gehstöcken geschafft. »Mir ist klar, dass es die großen Berge nicht mehr werden, aber trotzdem werde ich das Bergwandern nie ganz aufgeben. Das war auch nach dem Schlaganfall keine Option«, sagt Manfred Graw selbstbewusst. In Zukunft wolle er in einem Fitnessstudio weiter an seiner Genesung arbeiten und Physiotherapieeinheiten absolvieren. Und was wäre Manfred Graw ohne sein nächstes Ziel: »Ich will in naher Zukunft mit meiner Frau, meine größte Hilfe und Unterstützerin, durch die Extremadura, eine Region in Westspanien an der portugiesischen Grenze, in Etappen wandern.« Und so geht Manfred Graw weiter seinen Weg, Schritt für Schritt, mit der Entschlossenheit eines Gipfelstürmers, der weiß, dass die wahren Höhen des Lebens oft im Herzen und im Willen zu finden sind.

Bildnachweise: Manfred Graw, Passauer Wolf

Ausgaben: Herbst/Winter 2025/2026Patientengeschichte
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