Während eines Urlaubs in Frankreich erlitt Tobias Gärtner im August 2021 eine inkomplette Querschnittlähmung infolge eines Rückenmarksinfarkts. Von der Brust abwärts gelähmt stand der aktive Familienvater plötzlich vor der Herausforderung, das Gehen neu erlernen zu müssen. Die folgenden Jahre waren geprägt von intensivem Training, Rückschlägen und Erfolgen. Mit der Unterstützung der Therapeuten sowie seiner Familie schaffte Tobias Gärtner Schritt für Schritt den Weg zurück in sein altes Leben.
Und plötzlich ist alles anders
Es ist früh am Morgen, die Sonne geht über einer kleinen Insel an der Westküste Frankreichs auf. Das Meer ist ruhig, Möwen kreisen am Himmel. Tobias Gärtner steigt aus dem Dachzelt seines Vans, trinkt eine Tasse Kaffee und plant mit seiner Familie den Urlaubstag. Der Morgen beginnt ausgelassen. Doch im Laufe des Vormittags spürt Tobias Gärtner plötzlich ein leichtes Kribbeln am Oberschenkel. Er denkt sich anfangs nichts dabei, interpretiert es zunächst als Einschlafgefühl oder eingeklemmten Nerv. Mit Dehn- und Rückenübungen versucht er, dem unangenehmen Gefühl entgegenzuwirken.
Als er sich kurze Zeit später zum Strand aufmacht, greift seine Frau vorsorglich zur Voltaren-Salbe. »In dem Moment, als die Salbe auf meine Haut traf, durchzuckte ein stechender Schmerz meinen Rücken. Es fühlte sich an, als würden sich die Muskeln entlang der Wirbelsäule stark verkrampfen«, erinnert sich Gärtner an den Moment. »Unter starken Schmerzen schaffte ich es noch zur Rezeption des Campingplatzes. Dort versuchten wir, einen Krankenwagen zu rufen — was sich auf der Insel, auf der wir waren, als schwierig herausstellte. Die Schmerzen wurden so stark, dass ich mich auf den Boden legen musste. Ein Ehepaar aus Deutschland entdeckte mich glücklicherweise und brachte meine Frau und mich umgehend zur nächstgelegenen Arztpraxis. Dort wartete auch schon der Krankenwagen auf mich.«
Nur ein eingeklemmter Nerv?
Die französischen Ärzte standen anfangs vor einem Rätsel. Erst nach zahlreichen Tests und Untersuchungen kam man der wahren Ursache der Schmerzen auf den Grund: »Schlaganfall« stand nun als mögliche Diagnose im Raum. Aber auch eine Transverse Myelitis und Multiple Sklerose waren anfangs noch nicht ausgeschlossen. »Dass es am wahrscheinlichsten ein Schlaganfall des Rückenmarks war, zeichnete sich erst im Lauf der folgenden Monate konkreter ab«, erzählt uns Tobias Gärtner. Doch bis heute ist nicht abschließend geklärt, worauf der Schlaganfall zurückzuführen ist. »Die Plötzlichkeit des Ganzen lässt mich am ehesten an eine vaskuläre Ursache denken«, erläutert Dr. med. Oliver Meier, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Neurologie und Geriatrie im Passauer Wolf Bad Griesbach. »Nicht immer ist ein solcher Schlaganfall auf einen ungesunden Lebensstil zurückzuführen. Herr Gärtner war schlank, sportlich und führte ein aktives Leben.«
Klare Ziele vor Augen
Tobias Gärtner wurde Ende 2021 nach der Krankenhausbehandlung zur Rehabilitation in den Passauer Wolf Bad Griesbach gebracht. Sein Zustand war schlecht: Er kam liegend an, konnte gerade einmal seine Zehenspitzen bewegen. Nichtsdestotrotz hoffte er schnell Fortschritte machen zu können: »Ich wollte nur kurz in die Reha und hoffte, dass ich danach ganz schnell wieder gesund heimkommen würde. Mein großes Ziel war es, nach meinem Aufenthalt aus dem Passauer Wolf heraus zu tanzen.« Dieses Ziel erreichte der Familienvater zwar nicht, doch am Ende der Reha konnte er den Passauer Wolf immerhin im Rollstuhl verlassen und sich mit einem Rollator einige Meter fortbewegen. Heute, drei Jahre später, ist es Tobias Gärtner sogar wieder möglich, kürzere Strecken ohne Hilfe zu gehen, für längere nutzt er Nordic-Walking-Stöcke als Stütze. »In Anbetracht der Voraussetzungen, unter welchen er in die Reha gestartet war, ist das ein phänomenaler Erfolg«, erklärt Dr. med. Oliver Meier.
Starke Eigenmotivation nach anfänglichen Startschwierigkeiten
»Einen maßgeblichen Beitrag zu diesem Erfolg leisteten unsere erfahrenen Therapeuten, insbesondere Marco Treiner, stellvertretender Leiter der Physiotherapie im Passauer Wolf Bad Griesbach. Herr Gärtner glaubte anfangs nicht an den Erfolg, was ganz normal ist bei einer solch plötzlichen Diagnose. Unsere Therapeuten haben ihm die Zeit gegeben, die er brauchte. Sie sind mit kleinen Schritten gestartet, um die Motivation zu steigern und haben die Intensität des Trainings kontinuierlich erhöht. Dabei haben sie alles in Form von Videos dokumentiert, um auch die kleinsten Erfolge sichtbar zu machen.«
Marco Treiner erinnert sich noch gut an diese Zeit: »Herr Gärtner hat bleibenden Eindruck bei uns im Passauer Wolf hinterlassen. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten hat er im Verlauf der Reha eine unglaublich hohe Eigenmotivation entwickelt, die ich selten bei einem Patienten erlebt habe. Auch durch Rückschläge hat er sich nicht aus der Bahn werfen lassen und das, obwohl seine Reha in die Covid-Hochphase gefallen ist und er keinen Besuch empfangen konnte. Bis heute trainiert er fleißig in der ambulanten Therapie und er schickt uns regelmäßig Fotos und Videos, die seine Erfolge dokumentieren.«
»In besonders herausfordernden Momenten hat mir auch meine Familie viel Kraft gegeben«, erklärt Tobias Gärtner. »Sie haben mich via Facetime und Co. immer wieder motiviert, wir haben Online-Spiele gespielt und viel miteinander telefoniert. Zu sehen, dass es meiner Familie gut geht, hat mir sehr geholfen. Sicherlich haben sich auch die psychologischen Gespräche positiv ausgewirkt. Schließlich war ich nicht allein mit meinen Herausforderungen.«
Therapie und Teamarbeit
Mit viel Fleiß und klaren Zielen vor Augen ließen die Therapie-Erfolge nicht lange auf sich warten. Neben der Mobilisierung stand schnell das Erlernen von Selbständigkeit auf dem Programm — sei es Waschen, Körperfunktionen oder der Wechsel in den Rollstuhl. Gezieltes Krafttraining zur Stärkung der Muskeln, ergotherapeutische Maßnahmen zur Verbesserung der Motorik, Stimulation in der täglichen Krankengymnastik und auch die ein oder andere Massage zur Entkrampfung der Muskeln gehörten zur Behandlung. Die ganzheitliche Betreuung ermöglichte Tobias Gärtner nicht nur körperliche Fortschritte, sondern förderte auch seine mentale Stärke. »Das Engagement des ganzen Teams war beeindruckend. Alle haben sich bemüht, das bestmögliche Ergebnis für mich herauszuholen«, erzählt Gärtner. »Alles, was medizinisch sinnvoll war und um das ich gebeten hatte, wurde zumindest ausprobiert. Ein besonderes Highlight war für mich immer die Zeit mit den Physiotherapieschülern, die regelmäßig mit mir gearbeitet haben und an mir alles ausprobieren konnten, was nach ihrer Ausbildung brauchen würden. Mit ihnen habe ich nach drei Monaten das erste Mal gestanden und meine ersten Schritte gemacht — das waren sehr emotionale Momente, in denen wir auch oft gemeinsam geweint haben.«
Alltag nach der Reha
Heute ist Tobias Gärtners Alltag wieder geprägt von Normalität, wenn auch mit Einschränkungen. »Ich versuche, mein Leben genauso zu leben wie vorher. Ich bin nur etwas langsamer«, erklärt er. »Meine Familie unterstützt mich mit vollem Einsatz und übernimmt viele Aufgaben, die ich sonst mitgemacht habe, alleine. Dafür bin ich unendlich dankbar. Ich versuche mich dafür mehr um die Dinge im Hintergrund, am Computer oder Telefon, zu kümmern. Das ist sicherlich noch nicht ausgewogen, aber ich möchte künftig immer mehr übernehmen, um meine Familie zu entlasten.«
Die beschwerlichen letzten Jahre haben dazu geführt, dass Tobias Gärtner das Leben jetzt noch mehr zu schätzen weiß – Er genießt die kleinen Momente wie gemeinsame Abendessen oder Ausflüge ans Meer mit der Familie und Freunden. Wichtige Meilensteine hat er bereits erreicht. Nun richtet er seinen Blick auf die Zukunft mit klaren Zielen: Wieder Fahrrad zu fahren, in den Bergen zu wandern und wieder unbeschwert in den Biergarten zu spazieren. »Ich bin zuversichtlich, dass ich das schaffe«, sagt er.
Bildnachweis: Marco Treiner