Die Zeit rast dahin. Nachrichten überstürzen sich, Termine drängeln, Bilderfluten rauschen durch unseren Alltag. Dauerstress: Wir fühlen die negativen Auswirkungen auf Körper und Seele. Gemäß einer Forsa-Studie zum Neujahr 2025 haben sich 2024 mehr als zwei Drittel der Deutschen (68 Prozent) weniger Stress gewünscht. Nun neigt sich das Jahr 2025 dem Ende zu. Gibt es noch Augenblicke in unserem Leben, in denen wir innehalten? Mit Vergangenem bewusst abschließen und das Neue in unser Leben einladen? In denen wir den Wandel der Natur wahrnehmen und feiern? In denen wir mit anderen die Bräuche einer Region, die Feste des christlichen Kirchenjahrs zelebrieren?
SEHNSUCHT NACH ATEMPAUSEN
Lange Zeit galten Rituale und Bräuche als ein wenig angestaubt, überholt, als enges Korsett überkommener Regeln, die dem Ausleben individueller Bedürfnisse entgegenstehen oder die hauptsächlich kommerziellen Interessen dienen. Heute aber, da wir die Welt als extrem beschleunigt und unsicher erleben, wächst die Sehnsucht nach Atempausen, nach einem verlässlichen Rhythmus, nach Momenten der Ruhe in der unaufhörlich fortstürzenden Zeit.
DIE ZEIT BEWOHNBAR MACHEN
Der Philosoph Byung-Chul Han schreibt im Buch »Vom Verschwinden der Rituale«: »Rituale lassen sich als symbolische Techniken der Einhausung definieren. Sie verwandeln das In-der-Welt-Sein in ein Zu-Hause-Sein. Sie machen aus der Welt einen verlässlichen Ort. Sie sind in der Zeit das, was im Raum eine Wohnung ist. Sie machen die Zeit bewohnbar. Ja, sie machen sie begehbar wie ein Haus. Sie ordnen die Zeit, richten sie ein«. Rituale machen Verlässlichkeit und Zugehörigkeit erlebbar. Sie helfen dabei, Stress, Ängste und Überforderung abzubauen. Häufig begleiten sie uns bei Übergängen im Leben, beim Wechsel der Jahreszeiten, bei der Geburt, der Hochzeit, dem Tod. Rituale unterstreichen wichtige Ereignisse und geben ihnen einen besonderen Wert. Sie bringen Struktur ins Leben und wirken sinnstiftend.
FAMILIENRITUALE
Oft in Familien individuell erfunden, schaffen kleine Rituale Inseln der Ruhe im Alltag. Sie schweißen zusammen, helfen bei der Erziehung, vermitteln Kindern ein Gefühl der Geborgenheit und machen das Leben überschaubarer, leichter und bunter. Fast jede Familie besitzt beispielsweise ein Einschlafritual für die Kleinen: Da geht zuerst der Hase ins Bett, dann alle anderen Kuscheltiere. Schließlich braucht es noch eine Gute-Nacht-Geschichte, dazu vielleicht ein Lied. Und dann: Licht aus – schlaf’ schön.
RITUALE IM JAHRESKREIS
Viele Bräuche, Rituale und religiöse Feste haben ihren Ursprung im Wandel der Jahreszeiten. Vom Tanz um den Maibaum über das Johannis-Feuer bis hin zum Kräuterbinden an Mariä Himmelfahrt, dem Ernte-Dankfest oder dem Ganserl-Essen an St. Martin: Durch die Kraft der Rituale fühlen wir uns in den Jahreskreislauf eingebettet. Wir halten einen Moment inne, lassen uns auf die Veränderungen der Natur ein, ihre Vielfalt, ihren besonderen Zauber. Und fühlen uns zugehörig und reich beschenkt.


Bildnachweis: Peter von Felbert





















