Viele Gartenbesitzer haben die Brennnessel aus ihrem Reich verbannt. Doch in der Naturheilkunde wird die ungeliebte Pflanze seit Jahrtausenden hoch geachtet, und auch die gesunde Wildkräuterküche schätzt sie sehr.
Es gibt kaum einen Menschen, der nicht schon schmerzhafte Bekanntschaft mit der Brennnessel gemacht hat. Das ungeliebte Unkraut, das sich hemmungslos ausbreitet und in Windeseile ein stark verzweigtes Wurzelsystem ausbildet, ist an Stielen und Blättern mit feinsten Härchen ausgestattet. Diese sondern bei der geringsten Berührung verschiedene reizende Substanzen ab, die dafür verantwortlich sind, dass sich auf der Haut heftig juckende und stechende Quaddeln ausbilden und erst nach Stunden oder manchmal sogar Tagen wieder abklingen. Um so verwunderlicher erscheint es, dass die Kräuterfrau Maria Seidl ohne zu zögern mit bloßen Händen in ein Büschel Brennnessel hineingreift und einige Stängel abbricht. »Für die Zubereitung von Speisen, von Tees und anderen Mitteln für die Hausapotheke verwendet man hauptsächlich nur die jungen Triebe und die brennen kaum«, erklärt sie. »Wer trotzdem Hemmungen hat, streicht vor dem Pflücken ganz leicht von unten nach oben über die ganze Pflanze. Dabei legen sich die Brennhärchen an die Blätter an und können uns nicht mehr quälen. Auch durchs Walken mit dem Nudelholz, beim Kleinschneiden, Kochen oder Trocknen werden diese Reizstoffe unschädlich gemacht.«
Ein Tipp der Kräuterexpertin, die auf einem Einödhof in der Nähe von Wasserburg am Inn aufgewachsen ist und heute im Tegernseer Tal eine kleine Manufaktur für feine Salze, Aufstriche, Essige und Öle, Liköre und Sirups betreibt: Das Stechen und Jucken der Quaddeln lässt sich gut mit Spitzwegerich lindern, der für gewöhnlich in jeder Wiese zu finden ist. Dafür zerquetscht man ein paar der schlanken Blätter mit den Fingern, so dass der Pflanzensaft austreten kann. Dann legt man sie auf die betroffene Körperpartie auf.
DIE ENTSCHLACKUNG UNTERSTÜTZEN
In der Naturheilkunde wird die Brennnessel vor allem wegen ihrer blutreinigenden und harntreibenden Wirkung geschätzt. »Diese Eigenschaften machen sie gerade nach der kalten Jahreszeit, in der wir uns wenig bewegt und viel gegessen haben, so wertvoll für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden«, so Maria Seidl. »Im Rahmen einer Frühlingskur soll sie dabei helfen, den Stoffwechsel anzuregen, den gesamten Organismus zu entwässern und die Ausscheidung von Schlacken und Giftstoffen zu fördern.« Gleichzeitig kann man damit Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Erschöpfung und anderen typischen Folgeerscheinungen der langen Wintermonate vorbeugen. Am einfachsten ist ,Urtica dioica‘, so der botanische Name der Großen Brennnessel, frisch oder getrocknet als Tee zuzubereiten. Man kann die Blätter in Kräuterläden, Reformhäusern oder Apotheken kaufen oder die frischen, jungen Triebe an einem nicht schadstoffbelasteten Platz fast das ganze Jahr hindurch selbst pflücken. Zum Trocknen werden sie an einer luftigen, dunklen und nicht zu warmen (unter 35 Grad) Stelle in Büscheln aufgehängt. Sie sind trocken, wenn sie beim Anfassen knistern. Die Blätter lassen sich nun gut vom Stängel abstreifen und zur Aufbewahrung in dicht verschließbare Dosen mit Beschichtung oder dunkle Glasgefäße einfüllen. Dunkel und kühl gelagert halten sie sich mindestens ein Jahr. Der mit Brennnessel und etwas Pfefferminze aufgebrühte Tee unterstützt nicht nur die Entschlackung: Bei Blasenentzündungen und anderen Harnwegsproblemen hemmt er die Ausbreitung der Krankheitskeime und trägt dazu bei, dass sie ausgeschwemmt werden. Diese Anwendung ist heute genauso wissenschaftlich anerkannt wie die Vorbeugung und Behandlung von Nierengrieß mit dem »Unkraut«. Vorsicht ist jedoch bei eingeschränkter Herz- oder Nierentätigkeit geboten.
Brennnesseltee
Zutaten:
- 2 TL frische oder 1 TL getrocknete Brennnesselblätter
- evtl. etwas Pfefferminze für den Geschmack
Zubereitung: Kräuter mit 200 ml heißem Wasser übergießen, nach 10 Min. abseihen.
Anwendung: Bei Magen- und Darmbeschwerden täglich 3 Tassen frisch zubereiten und trinken. Wirkt beruhigend, verdauungsfördernd und krampflösend. Bei Nieren- oder Blasenschwäche gibt man tägl. 1 Messerspitze Brennnesselwurzelpulver in den Tee. Fördert den Harnfluss, wirkt schmerzstillend und entzündungshemmend. Eine Teekur im Frühling regt den Stoffwechsel an und unterstützt die Entschlackung. Dauer: max. 6 Wochen.
LINDERUNG VON GICHT UND RHEUMA
Darüber hinaus werden die wassertreibenden, entzündungshemmenden und schmerzlindernden Kräfte des Brennnesseltees seit Jahrhunderten bei Gicht sowie allen rheumatisch bedingten Muskel- und Gelenkbeschwerden genutzt. Er wird als Kur getrunken – oder dient als Badezusatz: Dafür übergießt man drei Handvoll Brennnesseln, falls verfügbar gemischt mit Ackerschachtelhalm und jungen Birkenblättern, mit vier Litern kochendem Wasser, lässt sie zehn Minuten ziehen und schüttet den Sud dann ins Wasser (37-38 Grad). 10-15 Minuten darin baden, anschließend mindestens eine halbe Stunde nachruhen. »Das Brennnesselbad tut aber auch gut, wenn man nicht von Schmerzen geplagt wird. Es durchblutet Haut und Gewebe angenehm und wirkt erfrischend auf den ganzen Körper. In der Wanne kann man sich zusätzlich eine warme Kompresse auf das Gesicht legen, die zuvor in Brennnesselsud getränkt wurde. Diese Auflage vitalisiert und reinigt den Teint«, ergänzt die Kräuterfrau. Bei Pickeln und fettiger Haut hat sich zudem ein Gesichtsdampfbad über dem heißen Sud bewährt. Auch als Spülung nach der Haarwäsche ist dieser Sud geeignet: Er soll den Schopf schön geschmeidig machen und die Durchblutung der Kopfhaut anregen, so dass die Haarwurzeln besser mit wichtigen Nährstoffen versorgt werden können.
Gesichtsdampfbad
Zutaten:
- 5 EL Brennnesselblätter (frisch oder getrocknet)
Zubereitung: Brennnesseln in eine Schüssel oder einen großen Topf geben und 1 Liter kochendes Wasser darüber gießen.
Anwendung: Die aufsteigenden Dämpfe für zehn Minuten auf das Gesicht treffen lassen. Hat eine reinigende Wirkung auf die Haut und verengt die Poren. Ist hilfreich gegen Mitesser und bei Akne.
DIE KONZENTRATION VERBESSERN
Die kleinen grauen Zellen profitieren gleichfalls von den aufbauenden und belebenden Inhaltsstoffen der Brennnessel. Ein Öl nach einer Rezeptur, die vermutlich aus der Feder der heilkundigen Benediktiner-Äbtissin Hildegard von Bingen (1098-1179) stammt, soll das Gedächtnis wieder leistungsfähig machen und die Konzentration verbessern. Zur Stärkung der geistigen und körperlichen Kräfte kann man bei allgemeiner Schwäche und Erschöpfungszuständen ebenso auf die Samen der Pflanze zurückgreifen. »Nicht zuletzt ist die Brennnessel ein besonders wertvolles Nahrungsmittel, mit dem wir unseren Speiseplan vor allem im Frühling bereichern sollten«, meint die passionierte Köchin Maria Seidl, die fast alle Köstlichkeiten in ihrem Sortiment selbst herstellt. »Sie besitzt einen außergewöhnlich hohen Gehalt an Mineralien und Spurenelementen, vor allem Eisen, Magnesium und Kalzium, dazu viele Vitamine und weitere gesundheitsfördernde Pflanzenstoffe. Nach altem Brauch ist sie Bestandteil der traditionellen Gründonnerstagssuppe, die nach einem harten Winter aus neun verschiedenen vitalisierenden und entschlackenden Kräutern gekocht wurde. Fast noch mehr mag ich aber die reine Brennnesselsuppe – mit ein paar Nockerln verfeinert. Als Gemüse wird das Unkraut ähnlich wie Spinat zubereitet und passt gut zu Nudeln oder in Aufläufe. Auch einem Pesto oder Brotaufstrich gibt es einen wunderbar würzigen Geschmack.«
Brennnesselsamen
Zutaten:
- 1 TL Brennnesselsamen
Sammeln: Erntezeit ist Spätsommer, wenn die Samen beginnen, braun zu werden. Auf Küchenpapier ausstreuen und trocknen lassen. Es gibt sie auch im Kräuterladen zu kaufen (z.B. www.marias-blütenzauber.de).
Anwendung: Die Samen 1-2 Mal täglich ins Essen streuen — in Joghurt, Quark, Frischkäse u. ä. oder direkt aufs Butterbrot. Sie passen auch gut in Salate und Soßen. Nach Geschmack kann man die Samen vorher pulverisieren. Die Vitaminbomben regen die Körperfunktionen an und wecken die Lebensgeister, besonders bei älteren Personen.
Brennnesselöl
Zutaten:
- frische Brennnesselblätter
- Olivenöl
Zubereitung: Brennnesseln im Mörser oder mit einem Mixer zerquetschen und den Saft durch ein Tuch auspressen. In ein Glas füllen und mit der gleichen Menge Olivenöl vermischen. Kühl und dunkel gelagert ca. 6 Monate haltbar.
Anwendung: Vor dem Schlafengehen die Brust und beide Schläfen mit dem Brennnesselöl einreiben. Es regt die Durchblutung des Gehirns an und verhilft so zu einer besseren Konzentration und Merkfähigkeit. Erste Erfolge zeigen sich allerdings frühestens nach etwa 1 bis 2 Monaten.
Brennnesselsuppe
Zutaten für 4 Personen:
- 1 EL Butter
- 1 kleine Zwiebel
- 2 mittelgroße Kartoffeln
- 300 g Brennnesseln (nur die jungen Spitzen)
- 750 ml Gemüsebrühe
- Muskatnuss nach Geschmack
- etwas Sahne
Zubereitung: Die Zwiebel hacken und die Kartoffeln würfeln. Die Butter im Topf schmelzen, Zwiebeln und Kartoffeln bei mittlerer Hitze darin unter stetem Umrühren dünsten. Die Zwiebel dabei nicht braun werden lassen! Brennnesseln klein schneiden und dazugeben. Mit Gemüsebrühe aufgießen und ca. 20 Minuten leicht köcheln lassen. Alles pürieren und mit Muskat und Sahne abschmecken.
Bildnachweis: Peter Raider