Der Alltag erfolgreicher Menschen ist heutzutage oft geprägt von der Gleichzeitigkeit unterschiedlichster Anforderungen. Da lauern Termindruck, die Dauererregung durch die stetig steigende Informations- und Bilderflut, permanente Verfügbarkeit ist selbstverständlich. Kurz: Im Business ist kaum Raum für den Schlaf.
Dr. med. Martin Schlott aber sieht im Schlaf einen Erfolgsfaktor. Der Chefarzt für Anästhesie und Intensivmedizin ist gleichzeitig Schlafcoach und zeigt seit vielen Jahren Führungskräften, Leistungssportlern und Spitzenpolitikern, wie guter Schlaf funktioniert. In seinen Vorträgen und Coachings verbindet er medizinisches Wissen und bewährte Mentaltechniken mit seiner langjährigen Erfahrung aus Hypnose und Veränderungsprozessen. Für die Fragen der »Wolfsspur« hat er sich Zeit genommen.
Was hat Sie in fordernden Zeiten dazu gebracht, das Buch »Erfolgsfaktor Schlaf« zu schreiben?
Dr. med. Martin Schlott: Der Wunsch wurde an mich herangetragen. Mein anscheinend ganz interessantes Profil in der Kombination von Anästhesist, Intensivmediziner, Führungskraft und Schlafcoach war wohl der Auslöser. Gerade die Methoden aus dem Mentalbereich, mit denen ich viele High Performer unterstütze, waren dabei für die Verlage interessant. Denn, ist die medizinische Seite bei Schlafproblemen abgeklärt, dann ist es doch oft der Stress, das Grübeln, das Gefangensein im Gedankenkarussell, das viele Menschen nachts nicht schlafen lässt.
Wie sind Sie als Anästhesist und Intensivmediziner zum Thema Schlaf gekommen?
Dr. med. Martin Schlott: Auf dem Weg zur Führungskraft habe ich eine Kommunikationsausbildung gemacht und bin darüber zum Mentaltraining gekommen. Seither arbeite ich u. a. mit Profisportlern, Unternehmern oder Führungskräften zusammen. Viele dieser Klienten haben Schlafprobleme oder klagen oft über zu wenig Energie am Morgen oder über einen Energie-Abfall während des Tages. Hintergrund ist oft zu viel Stress, zu hohe Erwartungen an sich selbst, die fehlende Balance zwischen An und Entspannung und das Grübeln und Kopfkino beim Einschlafen. Als Anästhesist nutze ich ja jeden Tag die Mechanismen, die in unserem Gehirn beim Schlafen ablaufen, auch wenn wir hier mit einem künstlichen Koma operative Eingriffe ermöglichen. Und das Wissen um den Schlaf kombiniere ich mit sehr wirkungsvollen psychologischen Methoden aus dem Mentaltraining, um den natürlichen Schlaf zu ermöglichen. Außerdem schlafe ich selbst für mein Leben gerne und finde, es gibt nichts Großartigeres, als morgens frisch und voller Energie in den Tag zu starten.
Es gibt nichts Großartigeres als morgens frisch und voller Energie in den Tag zu starten.
Warum sind Ausgeschlafene erfolgreicher?
Dr. med. Martin Schlott: Studien aus dem Leistungssport aus der Arbeitsgruppe um Cheri Mah von der Stanford University zeigen, dass bei Tennis und Basketballprofis die Aufschlagsgenauigkeit, 3-Punkte-Würfe und die Sprintfähigkeit zunehmen, wenn sie ausgeschlafen sind und auch die eigene Stimmung sich verbessert. Wenn wir nun schauen, welche Qualitäten dem zugrunde liegen, dann sind die Voraussetzungen für ein schnelleres Sprinten oder mehr Genauigkeit beim Aufschlag oder beim Werfen, dass wir über Energie verfügen, motiviert sind, also die bestmögliche Leistung auch wirklich bringen wollen, dass wir konzentriert und fokussiert, kreativ und emotional ausgeglichen sind und über eine gute Koordination verfügen. Das sind alles Qualitäten, die wir auch brauchen, um beruflich erfolgreich zu sein, um unsere Ziele zu erreichen und auch, um in unseren Beziehungen und Familien souverän agieren zu können. Wenn wir müde sind, zu wenig schlafen, sind wir viel leichter reizbar und erzeugen damit schon ein negatives Klima in der Familie oder in der Arbeit. Gute Ergebnisse aber entstehen aus einer motivierenden Zusammenarbeit. Unausgeschlafen sind wir weniger konzentriert und viel leichter ablenkbar, brauchen also länger für die Fertigstellung unserer Projekte mit eventuell auch noch schlechteren Ergebnissen. Daher sollten wir also ausgeschlafen sein, um in unserem bestmöglichen Zustand voller Energie, Motivation und Konzentration agieren zu können.
Wie schafft man es, als vielgeforderter Mensch den Schlaf schon tagsüber zu sich einzuladen?
Dr. med. Martin Schlott: Ich sage bei meinen Vorträgen oft, so wie wir unseren Tag verbringen, so schlafen wir dann auch. Dazu lohnt sich ein Blick in die Evolution. Denn unser Gehirn ist ein »Steinzeit«-Gehirn. Es hat sich die letzten Jahrtausende nicht wesentlich weiterentwickelt, nur unsere Umwelt ist deutlich komplexer geworden. Durch die Industrialisierung, Erfindung des elektrischen Lichtes, durch die zunehmende Digitalisierung. Beim Blick zurück wird uns bewusst, dass der Rhythmus des Lebens und des Tages durch das Sonnenlicht beeinflusst war. Die Menschen sind mit dem beginnenden Tageslicht wach geworden, haben dann viel Zeit im Tageslicht verbracht, sich beim Sichern des Überlebens sehr viel bewegt, beim Nahrungsuchen etwa, beim Jagen, Verteidigen, Flüchten. Zwischendurch gab es immer wieder Ruhephasen und abends sind unsere Vorfahren mit dem Sonnenuntergang müde geworden und dann zur Nachtruhe übergegangen.
Das Sonnenlicht am Morgen spielt für die Aktivierung unseres Gehirns eine wichtige Rolle und die Dämmerung dann natürlich fürs Runterfahren und die Freisetzung z. B. des Melatonins. Ebenso für die Bildung wichtiger Substanzen wie Serotonin oder Vitamin D. Heute werden viele Menschen per Wecker aus dem Schlaf gerissen, haben nicht fertig geschlafen, was Schlafentzug bedeutet und eine Foltermethode darstellt. Wir sitzen mehr oder weniger den ganzen Tag in geschlossenen Räumen, bewegen uns zu wenig, sind oft in einer Daueranspannung und verlängern den Abend noch mit künstlichem Licht. Oft werde ich nach dem ultimativen Schlaftipp gefragt – dann sage ich: acht Stunden Feldarbeit!
Mein ultimativer Schlaftipp: acht Stunden Feldarbeit!
Und was hilft am Abend?
Dr. med. Martin Schlott: Den Wecker auf 21:00 Uhr stellen, das Smartphone zur Seite legen und sich aufs Runterfahren und Schlafen vorbereiten, um dann um 22:00 Uhr ins Bett gehen zu können. In dieser Stunde zwischen 21:00 und 22:00 Uhr kann ich etwas Schönes lesen, meditieren, beten, Yoga oder einen entspannenden Spaziergang machen, Tagebuch schreiben. Einfach Dinge, die mir guttun, die mich entspannen.
Was kennzeichnet einen erholsamen Schlaf?
Dr. med. Martin Schlott: Erst mal sind Schlaf und die Erholung daraus ja etwas sehr Subjektives. Wenn ich mich morgens erholt und frisch fühle und tagsüber leistungsfähig bin, dann ist das schon mal ein gutes Zeichen. Wenn wir da jetzt analytisch rangehen, dann zeigt sich in Studien, dass acht Stunden Schlaflänge wichtig sind für unsere körperliche und mentale Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Noch wichtiger ist natürlich die Schlafqualität. Wir sollten in Summe 60 bis 90 Minuten Tiefschlaf pro Nacht haben, der eher zu Beginn der Nacht stattfindet.
Sind sogenannte »Schlaftracker« aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Dr. med. Martin Schlott: Ja, ich finde sie sinnvoll. Sie geben nur indirekt den Schlaf wieder, da sie aufgrund von Parametern wie Herzfrequenz, Herzratenvariabilität, Bewegung, Atmung, Temperaturveränderungen usw. auf die Schlafstadien schließen. Aber wir bekommen eine Idee von unserer Schlafqualität und können daran unser Verhalten untertags und am Abend reflektieren. Und damit auch unser Verhalten ändern, um unsere Schlafqualität zu verbessern. Mehr Tiefschlaf, mehr Traumschlaf, länger schlafen, weniger Aufwachphasen und morgens erholt und frisch aufwachen ist großartig! Manche Menschen kommen mit fünf Stunden Schlaf aus, andere brauchen zehn. Gibt es eine Orientierungsgröße für eine gesunde Schlaflänge bei erwachsenen Menschen? Ja, nimmt man die vielen Studien zu unserer körperlichen und mentalen Gesundheit oder zu unserem körperlichen Leistungsvermögen, so sollten wir idealerweise acht bis neun Stunden pro Nacht schlafen. Natürlich ist der Schlaf auch ein sehr subjektives Thema und es gibt Menschen, die sind genetisch so veranlagt, dass sie mit fünf Stunden Schlaf pro Nacht auskommen, aber das sind die wenigsten von uns. Viele Menschen versuchen den Schlafmangel mit hoher Willensstärke auszugleichen und betreiben damit Raubbau an ihrem Körper.
…Dinge, die mir guttun, die mich entspannen.
Würden Ihrer Ansicht nach Unternehmensangebote zum »Powernapping« im Unternehmenserfolg sichtbar werden?
Dr. med. Martin Schlott: Das müsste man mal genauer untersuchen, um auch Daten dazu zu bekommen. Studien zeigen jedenfalls, dass wir nach einem Powernap, also einem Kurzschlaf von 10 bis 20 Minuten, nachmittags und bis in den Abend hinein konzentrierter und produktiver sind, weniger Fehler in Konzentrationstests machen, die Reaktionszeiten sich verbessern, was z. B. für Piloten, Ärzte oder Fußballprofis bei Abendspielen wichtig ist. Auch das Lösen von Problemen fällt uns leichter. Wir sind kreativer, emotional ausgeglichener und streiten weniger, können in Gesprächen, Meetings, Verhandlungen am Abend souveräner agieren und bessere Ergebnisse erzielen. Es ist naheliegend, dass ein Mittagsschlaf auch erfolgreicher macht.
Verkürzt ein Mittagsschlaf den Schlafbedarf in der Nacht?
Dr. med. Martin Schlott: Wenn wir mit dem Mittagsschlaf gut umgehen, dann sollte dieser das Schlafbedürfnis in der Nacht nicht beeinträchtigen. Ein Mittagsschlaf sollte bis spätestens 15:00 Uhr abgeschlossen sein, eher noch früher, damit sich für die Nacht auch wieder ein Schlafdruck aufbauen kann. Das Signal ist ja dann: Herrlich, es ist Zeit für einen erholsamen Schlaf! Und vor allem sollte ein Powernap nicht länger als 20 Minuten dauern, ansonsten laufen wir Gefahr, in tiefere Schlafphasen zu sinken, und dann braucht unser Körper einfach lange, um wieder richtig fit zu sein.
Zählt Ausruhen untertags auch oder muss es wirklich Schlafen sein?
Dr. med. Martin Schlott: Ausruhen gilt auch, wir sollten ohnehin nur in einen leichten Schlaf sinken. Hier ein Trick für ein gutes Maß: einen Schlüsselbund in die über die Sofakante hinaushängende Hand nehmen. Sobald er herunterfällt, ist das ein Zeichen dafür, dass wir auf dem Weg in einen tieferen Schlaf sind, weil der Muskeltonus nachlässt, gleichzeitig wird uns das Klirren beim Aufschlag des Schlüssels auf dem Boden sehr wahrscheinlich wieder wecken.
Es ist naheliegend, dass ein Mittagsschlaf auch erfolgreicher macht.
Schichtarbeit und Schlaf – manche haben ja einfach nicht die Möglichkeit, die wertvollen Stunden um Mitternacht zu schlafen. Gibt es Tipps, um das auszugleichen?
Dr. med. Martin Schlott: Schichtarbeit stellt sicher eine große Herausforderung für unseren Körper und unser Gehirn dar. Und ja, in einigen Bereichen ist unsere Gesellschaft darauf angewiesen. Bei der Polizei, der Feuerwehr, dem Gesundheits- oder Transportwesen dient Schichtdienst nicht nur unserer Gesundheit, sondern auch unserer Sicherheit und dem Gemeinwohl. Bei der Erstellung von Schichtplänen kann es helfen, die Mitarbeiter individuell nach ihren Vorlieben zu befragen und nicht alle gleichmäßig einzuteilen. Es gibt Menschen, die machen lieber Spät und Nachtdienste als andere. Das kann man berücksichtigen. Dann sollten es nicht zu viele Nachtdienste am Stück sein, zwei bis drei scheinen besser zu sein als längere Serien, der Wechsel von Früh auf Spät auf Nachtschicht scheint besser zu sein als umgekehrt. Im Nachtdienst selbst sollte spätestens acht Stunden vor dem geplanten Schlafen der Kaffeegenuss beendet werden. Auch mit Licht sollte man vorsichtig sein und zum Schichtende hin mit Sonnenbrille oder den orangenen Gläsern nach Hause fahren, um intensives Tageslicht zu vermeiden. Und: Das Schlafzimmer sollte wirklich dunkel und ruhig sein.
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