Der leidenschaftliche Berg- wie Ausdauersportler und erfolgreiche Entwickler von Sportgeräten, Christian Bier aus Miesbach, begann nach einem unglaublichen Bergsturz in 5.000 Meter Höhe in Kolumbien eine Sport-Reha in der Passauer Wolf Lodge & Therme in Bad Griesbach (Anmerkung der Redaktion: wird derzeit nicht mehr angeboten, ähnliche Konzepte auf Anfrage). Als Patient mit beruflich bedingtem Expertenwissen in geschütztem Rahmen auszuprobieren, wie weit man selbst gehen kann, hat ihm gutgetan.
SPORTBEGEISTERT WAR ICH SCHON IMMER.
Christian Bier lebt mit seiner Frau und den drei erwachsenen Kindern – die alle studieren und in den Ferien gerne noch zuhause wohnen – in Miesbach. Den Voralpen zum Greifen nah, übt er seit der Schulzeit leidenschaftlich den Bergsport aus. Zu seinen Hobbies und Lieblingsbeschäftigungen zählen somit Bergsteigen, Berglaufen, Bergradeln, Skifahren, Mountainbiken und Klettern – aber auch Segeln. Neben diesen Aktivitäten sind Christian die Menschen, speziell natürlich die Familie und die Freunde, das Wichtigste. Und er liebt gutes Essen.
BERUF AUS BERUFUNG
»Irgendwie ist es schon so, dass ich das große Glück, aber auch den Mut hatte, meine Berufung zum Beruf zu machen«, erzählt der leidenschaftliche Sportler dankbar. Er startete seine Karriere als Entwicklungsingenieur in einer Ski-Firma, wechselte dann in den Bau und die Erprobung von solarbetriebenen Meerwasserentsalzungsanlagen und wurde schließlich Produktentwickler bei W. L. Gore & Associates. 2012 war die Zeit reif für die Selbstständigkeit. Mit Begeisterung entwickelt er bis heute beispielsweise Lawinenairbags für seine Kunden aus der Sportbranche.
BERGUNFALL IN EISIGEN HÖHEN
Im November 2018 reiste Christian Bier mit seinem Freund Sigi nach Kolumbien, um den höchsten Berg des Landes zu besteigen – den Pico Cristóbal Colón (5.775 m). Wegen des Vetos der Ureinwohner war dies jedoch nicht möglich, wie sich erst vor Ort herausstellte. So planten die beiden eine Ausweichtour auf den selten bestiegenen Nevado del Tolima mit ca. 5.250 m Höhe. »Von der Schwierigkeit ist der Tolima eher als leicht zu bewerten«, erklärt Christian, fügt jedoch mit seinem sympathischen Lachen hinzu: »Eher leicht für einen, der die Höhe gewohnt ist und schon viele deutlich schwierigere Berge bestiegen hat!« Im Dorf, wo die Tour begann, freundeten sie sich mit Andi und Michaela, einem Paar aus München, an. So kam es, dass Andi sich den beiden anschloss, während Michaela unten im Dorf die Stellung halten wollte. Eine »zufällige« Gesamtkonstellation, die sich bald als großes Glück herausstellte.
Noch in der Dunkelheit des Morgens zog das Trio nach zwei Aufstiegstagen vom Zeltbiwak auf 4.800 m Höhe aus los, um den Gipfel des Tolima zu besteigen – während der Abstieg auf der anderen Seite versucht werden sollte. Gegen acht Uhr hatten sie den Gipfel erreicht und den majestätischen Ausblick von dort genossen und machten sich nun an den Abstieg. »Ich stieg in einer vereisten, sehr steilen Rinne voraus und folgte dem Verlauf der Rinne. Das Eis war jedoch an einer Stelle, die die Sonne noch nicht erreicht hatte, so glashart, dass selbst meine sehr guten Stahlsteigeisen kaum Halt finden konnten. Deshalb verlor ich an einer Steilstufe den Halt, bevor ich mich mit einer Eisschraube sichern konnte.«
Ab jetzt muss er sich auf die Erzählungen seiner beiden Kameraden stützen. Obwohl es Bilder sind, die alle Beteiligten am liebsten verdrängen möchten. So zeigt das erschreckende Szenario zwei Männer in eisigen Höhen: Einer von ihnen, Christian Bier, liegt starr auf dem Rücken und wird notdürftig geborgen. Sein Gesicht ist so verquollen, dass es nur noch eine einzig lila-rote Fläche darstellt. Der zweite Mann steht schützend vor dem Liegenden und sein Ausdruck zeigt blankes Entsetzen. Christian Bier trägt ein schweres Schädel-Hirntrauma, mehrere Kopfverletzungen, einen Lungenriss und einen Wirbelfortsatzbruch von seinem Sturz davon. Eine weitere Diagnose? Amnesie. Christian kann sich bis heute nicht an die folgenden elf Tage erinnern.


»Meine Freunde sagten, dass ich nach ca. 20 Metern an einen Felsen prallte, wodurch ich das Bewusstsein verlor. Unkontrolliert fiel ich weiter über fast 200 Meter nach unten. Dabei zog ich mir die schweren Verletzungen zu.« Die Kameraden brauchten auf anderem Wege fast eine Stunde bis sie ihn erreichten. »Sigi, der zum Glück Arzt ist, verband mir die schlimmsten Wunden und holte mich aus der Bewusstlosigkeit zurück. Durch die Gesichtsverletzungen konnte ich nichts mehr sehen.« Es war offensichtlich, dass er ohne Hubschraubertransport keine Chance hatte, die Folgen des Absturzes zu überleben. Ein sehr glücklicher Umstand war es, dass die beiden Freunde an diesem Ort eine Netzverbindung hatten und so Andis Frau Michaela via SMS erreichen konnten. Sie verständigte die deutsche Botschaft in Kolumbien, die gute Kontakte zum Militär hat. Da es in Kolumbien keine organisierte Rettungskette gibt und das Rote Kreuz keinen geeigneten Hubschrauber hat, war der Militärhubschrauber generell die einzige Chance aus diesen Höhen gerettet zu werden.
»Jedoch gab es für mich nur eine geringe Chance auf Rettung, denn ich musste es – trotz der Verletzungen und ohne etwas zu sehen – schaffen, von fast 5.000 m auf 4.000 m in sehr schwierigem Gelände abzusteigen. Da selbst der Militärhubschrauber nur auf maximal 4.000 m fliegen kann. Dies war nur mit Hilfe meiner beiden Kameraden möglich und dauerte zwei Tage und eine Nacht.« Das Wetter war jedoch schlecht und der Hubschrauber konnte nicht starten. Am zweiten Morgen kam ihnen eine Gruppe freiwilliger Einheimischer zur Unterstützung entgegen – sozusagen die kolumbianische Bergwacht. Der Hubschrauber aber konnte aufgrund des Wetters auch an diesem Tag nicht fliegen. Christian überlebte eine weitere, eisige Nacht.
Mit dem Wissen, dass die Zeit gegen den Verletzten tickte, überzeugte ein rettungserfahrener Mitarbeiter der deutschen Botschaft den Hubschrauberpiloten trotz des Wetters einen erneuten Flugversuch zu starten. Dies war Christians Rettung. Eine kurze Wolkenpause von zehn Minuten reichte aus, um mit dem Hubschrauber bis knapp über den Boden runterzugehen und den Schwerverletzten aufzunehmen. In einem kolumbianischen Krankenhaus wurde Christian für vier Tage ins Koma gesetzt, damit die Verletzungen behandelt werden konnten. Nach zwölf Tagen konnte er nach Hause fliegen und auf der Fahrt zum Flughafen setzte auch seine Erinnerung wieder ein.
AUF DEM GENESUNGSWEG
»Nach drei Tagen in einem Münchener Krankenhaus durfte ich nach Hause und verschlief daheim erstmal Weihnachten und Neujahr«, so Christian. Trotz noch wackeliger Koordination, versuchte er sich bereits im Januar 2019 mit Langlauf-Skating und stand beruflich im Februar auf der Sportartikel-Messe ISPO.
»Im Nachhinein wurde mir klar, dass mich das komplett überfordert hat. Jedoch mit Mut und Willen zu versuchen wieder in den Alltag zu kommen, war wichtig und richtig, wie mir mein Guide in Bad Griesbach später bestätigte.« Erstmal ging es jedoch mit einer standardmäßigen ersten Reha für ihn weiter, die nicht ausreichte: »Ich war individuell viel zu wenig gefordert und am Heilungsprozess nicht beteiligt.«
»Der Unfall hat mich komplett aus dem Leben, aus meinem ganzen Flow, gerissen. Das Erschreckendste war die eigene Verletzlichkeit, die mir massiv vor Augen geführt wurde«, spricht Christian. »Zufällig erfuhr ich von einem befreundeten Mitarbeiter des Passauer Wolf von der neu eröffneten Lodge & Therme. Das innovative Konzept der Sport-Reha überzeugte mich sofort (Anmerkung der Redaktion: wird derzeit nicht mehr angeboten, ähnliche Konzepte auf Anfrage). Besonders hat mich die Kombination von Orthopädie und Neurologie angesprochen.« So kam es, dass er »als Patient mit Experten-Background« die Sport-Reha für sich entdeckte.

Und das ist es auch, was ich den Menschen ans Herz legen möchte: Selbstverantwortung zu übernehmen.
BEHANDLUNG AUF AUGENHÖHE
»Hier wurde das eigene Wissen, die Kompetenz und Expertise des Patienten mit in die Behandlung integriert – das war neu für mich. Wichtig für mich waren auch die guten und zahlreichen Gespräche mit Ärzten und Therapeuten. Sie hatten ein offenes Ohr für mich, gemeinsam wurde ein Therapieplan entwickelt und die individuellen Ziele definiert. Im Anschluss wurde konsequent das gesamte Programm darauf ausgerichtet. Schritt für Schritt hat mir das Erfolge auch sichtbarer gemacht und mir gezeigt: Es geht was vorwärts! Das motiviert. Es ermutigt, immer weiter für die eigene Gesundheit zu kämpfen. Und das ist es auch, was ich den Menschen ans Herz legen möchte: Selbstverantwortung zu übernehmen«, sagt Christian.
»Die Trainer gaben mir die notwendige Energie, alles zu probieren und sich auch zu schinden und so meinen Körper wieder auf Normalzustand zu bringen. Und das geht nur durch Beharrlichkeit, Geduld und dadurch, sich zu trauen, das Gewohnte einfach wieder zu tun. Felix Bauer, Leiter R·O·T Guiding und Therapie der Passauer Wolf Lodge & Therme, hat sich dafür eingesetzt, mich auch sportlich wieder einzunorden – speziell bezüglich Kraft, Geschicklichkeit, Kondition und Ausdauer. Zusätzlich wollte ich mein Kurzzeitgedächtnis trainieren und die innere und äußere Balance wiederfinden. Für die Balance war z. B. die Slackline und das Jonglieren sehr hilfreich«, berichtet Christian.
Die Läufe mit Felix Bauer zum Teufelsfelsen haben ihn dabei sehr inspiriert. »Eine wunderschöne Umgebung mit herrlichen Ausblicken auf das Rottal wurden mir da eröffnet. Als naturverbundener Geländeläufer habe ich das vor allem für meine Psyche gebraucht. Die körperliche Rehabilitation ist das eine, aber das Mentale und Emotionale zu heilen ist eine Herausforderung für sich. Auch Dr. med. Oliver Meier, Chefarzt der Neurologie im Passauer Wolf Bad Griesbach, hat sich sehr viel Zeit für mich genommen«, so Christian. Für ihn war es eine effektive Reha und er hat seine Ziele erreicht. »Außerdem hatte ich zwischen den therapeutischen Einheiten auch Zeit für Entspannung, das war mir auch wichtig.«
ALLER GUTEN DINGE SIND DREI!
Christian Bier hat sich neue Ziele gesetzt: »Erstens möchte ich alle ermutigen, nicht an gewohnten Mustern festzuhalten – und dankbar zu sein. Ich bin allen auf ewig dankbar, die bei meiner Rettung mitgeholfen haben. Zweitens habe ich mir auch vorgenommen, dazu beizutragen, die Bergrettung in Kolumbien zu verbessern. Speziell möchte ich dort eine organisierte Rettungskette aufbauen, so dass eine Rettung eben nicht mehr nur auf Glück basiert. In Kooperation mit verschiedenen Herstellern ist hierfür die Bereitstellung von Ausrüstung für Retter schon geplant. Und drittens will ich künftig mehr von zuhause aus unternehmen: Denn das Gute liegt oft so nah!«
Bildnachweis: Christian Bier, andifrank.com