Früher gehörte die Wanderschaft zu einer guten Handwerksausbildung. Ebenso wie verschwörerische Verbände, geheime Riten und Begriffe. Mit der Industrialisierung starb dieser Brauch fast aus. Bis er in den 1980ern wiederbelebt wurde. Er fasziniert junge Handwerker — auch weibliche — bis heute.
Sand und ein Bündel auf dem Rücken: Jeder hat schon einmal einen solchen Gesellen gesehen. Geselle schwarze Kluft, Hut, einen gedrehten stock in der im Wortsinne, denn bei diesen Wanderern handelt es sich um zukünftige Handwerksgesellen, die sich für den uralten, mystischen Brauch der walz entschieden haben. Die Wanderschaft nach der Ausbildung, für »drei Jahre und einen Tag«, ebnet ihnen den Weg zur Meisterprüfung.
Geheimnisvolle Rituale
Im Laufe des 14. Jahrhunderts wuchsen und prosperierten Städte wie Passau und Ingolstadt und mit ihnen das Handwerk. Zünfte mit Zunftordnungen, die Qualitätsmaßstäbe, Arbeitszeiten und Preise bestimmten, entstanden. langsam wurde auch die Wanderschaft zum festen Bestandteil der Ausbildung aller Gesellen, die Meister werden wollten. man hoffte auf neues Wissen und Arbeit, die es in der eigenen Stadt oft nicht gab, aber auch Abenteuerlust galt als Motivation. erst nach der walz war man ein »bewanderter« Mann. Doch sie war kein Honigschlecken: man darf (bis heute) drei Jahre nicht nach Hause, den Tippelbrüdern, damals noch ein ehrbarer Begriff, drohten Misshandlungen vom Meister, erfrieren, Hunger, Wegelagerer und Krankheit. um sich besser zu unterstützen, entstanden nun Gesellenbruderschaften, die oft im Geheimen wirkten. sie kümmerten sich um die soziale Absicherung der wandernden. Bei Krankheit bekam man Gelder aus der »Gesellenlade«, sogar Pflegepersonal in Form anderer Gesellen, dazu Hilfe bei der Arbeitsvermittlung. Bald schon wurden die Bruderschaften recht mächtig, entdeckten das Mittel des Streikes und konnten so ganze Städte ruinieren. um 1500 hatten sie die Fünf-Tage-Woche erkämpft.
Zur Abgrenzung gegen wild umherwandernde, unorganisierte Hasardeure, die die Insignien echter Tippelbrüder zum Betteln missbrauchten, wurden geheime Rituale, Formeln und Zeichen entwickelt, dazu ein eigener »Gesellenschnack«. Auch die Kluft wurde zum Erkennungszeichen übrigens fast aller Handwerker – und das bis heute. sie besteht aus einem Hut – er steht für den freien Mann, was im Mittelalter keine Selbstverständlichkeit war. Dazu kommt die staude (Hemd), die Hose mit zwei Reißverschlüssen, die weste, das Jackett oft mit sechs knöpfen vorne, dunkle Schuhe oder Stiefel und der »Ehrbarkeit«, also Krawatte oder Binder, deren Farbe Auskunft über den Schacht und die Handwerkstradition erteilt. komplett wird die Ausstattung durch Ohrringe mit Zunftzeichen, Stenz (stock), Koppel mit Schloss, Taschenuhr mit kette, den Charlottenburger (Bündel) und in der Tasche die Kundschaft oder das wanderbuch.



Niedergang und Auferstehung
Doch die Zeiten wurden schlechter. Aufgrund der Industrialisierung und des schleichenden Niederganges vieler Handwerke, gab es für Gesellen auf der Walz immer weniger Arbeit. Übrig blieben zehntausende verarmte, bettelnde Tippelbrüder, die den schlechten Ruf dieses Begriffs begründeten. Pastor Friedrich von Bodelschwingh erkämpfte für sie menschenwürdige Asyle. Zwischen 1882 und 1902 wurden 31 solcher Wanderer Arbeitsstätten in Deutschland eröffnet, die für viele die letzte Rettung vor dem endgültigen Fall waren. Trotzdem regten sich um 1890 Versuche, die walz wiederzubeleben: Damals gründeten sich die Geheimbünde der schächte, als Nachfolger der Gesellenbruderschaften, die bis heute wirken. Auch Nazis interessierten sich für die »kraftsprühenden, wettergebräunten Hünen mit Händchen«. Doch schnell gerieten sie in Verdacht, Marxisten zu sein und galten als Verbrecher. Die Weltkriege taten dann ein Übriges, um die Zahl der Gesellen zu dezimieren. und in den Zeiten des Wirtschaftswunders schien es einfach nicht mehr nötig, zu wandern. erst in den 80ern entstand mit einem steigenden Traditionsbewusstsein wieder Interesse an der walz. Heute tippeln etwa 600 zukünftige Handwerksmeister/innen auf den alten, geheimnisvollen Pfaden durch die Lande. Viele schächte verlangen heute ein polizeiliches Führungszeugnis. Man darf sich nur in der Kluft bewegen, drei Jahre lang nicht näher als 50 km an den Heimatort kommen, kein Fahrzeug besitzen und nur zu Fuß oder per Anhalter reisen. wenn jedoch eine Zimmerei genügend Arbeit hat, dann muss sie diese an den Wandergesellen vergeben. wenn sie jemanden auf Tippelei treffen: Gewähren sie ihm oder ihr Unterkunft, speis und Trank. man wird es Ihnen danken. Denn nach den Statuten der schächte hat er/sie sich immer »ehrbar und zünftig« zu verhalten.

Mehr faszinierendes Wissen
über die Tradition der Walz finden Sie in dem Buch »Mit Gunst und Verlaub! Wandernde Handwerker: Tradition und Alternative«, Anne Bohnenkamp und Frank Möbus (Hrsgb.). Für 24,90 € im Wallenstein Verlag.
Bildnachweise: Wallstein Verlag/Ulla Lüthje aus »Mit Gunst und Verlaub!«