Laut einer Schätzung der WHO leiden 350.000 Menschen in Bayern an den Langzeitfolgen einer Covid-19-Infektion. Im Passauer Wolf Bad Griesbach hat der Leitende – Oberarzt der Neurologie, Dr. med. Stefan Kley, zusammen mit dem Ärztlichen Direktor und Chefarzt der Neurologie und Geriatrie, Dr. med. Oliver Meier, schon früh ein ganzheitliches Konzept zur Behandlung von Long-Covid-Patient:innen im Rahmen der neurologischen Rehabilitation entwickelt.
Mit welchen Einschränkungen sehen Sie sich am häufigsten konfrontiert?
Dr. med. Oliver Meier: Neben Schädigungen der Lungenfunktion oder des Herz-Kreislauf-Systems beobachten wir vorrangig leistungseinschränkende neurologische Defizite wie das chronische Fatigue-Syndrom oder kognitive Einschränkungen wie Vergesslichkeit oder Konzentrationsprobleme. Dazu kommt eine generelle Schwächung der Leistungsfähigkeit. Einige Patient:innen leiden auch an peripherer Neuropathie, die Schmerzen, Kribbeln oder Taubheitsgefühle in Armen oder Beinen verursacht. Selten können auch Schlaganfälle oder Enzephalitis, eine Entzündung des zentralen Nervensystems, auftreten.
Wie kann eine neurologische Reha helfen?
Dr. med. Stefan Kley: Die meisten Betroffenen sind durch die Erkrankung massiv verunsichert. Sie können körperlich weniger leisten als gewohnt, sind nicht mehr in der Lage, ihrer Beschäftigung nachzugehen und müssen auch ihre Aktivität in Familie und Freundeskreis einschränken. Betroffene müssen nicht nur finanzielle Unsicherheit aushalten, sondern erfahren auch eine Erosion ihrer sozialen Bezüge. Natürlich leidet dann die Selbstwahrnehmung. Sie kämpfen mit Frustration, Scham oder Wut. Deshalb sehen wir uns bei der Aufnahme die Betroffenen sehr strukturiert an: Wie wirkt sich die Erkrankung im Leben der Menschen aus? Welche Beeinträchtigungen bestehen? Das Wichtigste aber ist zuallererst, dass wir die Patient:innen verstehen und sich die Patient:innen verstanden fühlen. Je nach erforderlichem Therapieschwerpunkt setzen wir dann auf das Zusammenwirken unterschiedlicher Maßnahmen, etwa Atemtherapie, Physiotherapie, Ergotherapie, aber auch physikalische Maßnahmen, neuropsychologische Behandlungsansätze und Entspannungstechniken wie Achtsamkeitsübungen, autogenes Training, Lymphdrainage und HydroJet. Dabei wollen wir nicht nur Symptome lindern, sondern auch dabei helfen, Bewältigungsstrategien, etwa »Pacing«, zu lernen, die eine Rückkehr in einen selbstbestimmten Alltag ermöglichen.
Was versteht man unter »Pacing«? Und warum spielt es eine so wichtige Rolle bei der Behandlung?
Dr. med. Oliver Meier: Als »Pacing« bezeichnet man ein Konzept zum Energiemanagement. Für Long-Covid-Patient:innen ist es wichtig, ihre körperlichen und geistigen Aktivitäten entsprechend ihrer Energielevel zu planen. Denn bei einer Überschreitung der Belastungsgrenze kann es zu einer Zunahme der Beschwerden für viele Tage kommen. Wir unterstützen unsere Patient:innen dabei, das für sie ideale Aktivitätsniveau zu finden. Sie lernen die eigenen Ressourcen schonend einzusetzen, Belastungsgrenzen nicht zu überschreiten und ausreichend Ruhepausen und Schlaf einzuplanen.
Strukturierte Fragen und aufmerksames Zuhören zeigen uns den Weg.
– Dr. med. Stefan Kley –
Häufig leiden Patient:innen unter Konzentrations- oder Gedächtnisproblemen, dem sogenannten »Brain Fog«. Welche Methoden helfen dabei, die kognitive Leistungsfähigkeit wieder zu verbessern?
Dr. med. Stefan Kley: »Brain Fog« ist ein Begriff, der für unterschiedliche Menschen sehr Verschiedenes bedeuten kann. Es gilt also zunächst herauszufinden, was Betroffene damit genau meinen: Ein Gefühl lähmender Müdigkeit? Gedächtnisoder Konzentrationsprobleme? Wortfindungsstörungen oder Schwindel? Andere Schwierigkeiten? Hinter solchen Beschwerden können beispielsweise Schlafstörungen stehen, auch Ängste oder Schmerzen. Und diese Problemfelder können wir dann angehen. Nicht selten findet sich auch eine Fehlregulation des vegetativen oder »autonomen« Nervensystems. Dieser Teil unserer Biologie ist einer willkürlichen Kontrolle weitgehend entzogen. Es gibt aber Möglichkeiten, ihn gezielt zu beeinflussen, etwa mit Techniken des »verbundenen Atmens«, die wir im Passauer Wolf anwenden. Kommen auf diese Weise grundlegende Körperfunktionen wieder ins Gleichgewicht, kann unser Gehirn auch anspruchsvollere geistige Tätigkeiten wieder entspannter ausführen.
Wer kann eine Post-Covid-Reha im Passauer Wolf Bad Griesbach in Anspruch nehmen?
Dr. med. Oliver Meier: Wir bieten sowohl eine Anschlussheilbehandlung direkt nach dem Krankenhausaufenthalt an als auch Reha-Maßnahmen im Rahmen der neurologischen Rehabilitation. Und nach der Reha? Dr. med. Stefan Kley: Wichtig ist es, auch nach der Reha sorgfältig mit den eigenen Ressourcen umzugehen. Auch zu Hause können rehabilitative Übungen fortgesetzt werden, z. B. mit Apps oder Online-Programmen, die wir den Patient:innen im Vorfeld zeigen. Und, wo dieses sinnvoll ist, unterstützen wir Patient:innen auch bei der Planung der stufenweisen Rückkehr an ihren Arbeitsplatz.
Bildnachweis: Berliberlinski, Theresa Ried