Wenn die Nächte länger werden, die Feldarbeit abgeschlossen, die Ernte eingefahren ist, dann ist endlich Zeit, sich zurückzuziehen. Nach innen richtet sich der Blick. Kerzen werden angezündet, Geschichten erzählt. Es gilt, die späten Herbststürme und andere Bedrohungen abzuwehren und sich vorzubereiten auf ein neues glückliches Jahr. Gerade in Bayern haben sich die alten Bräuche der dunklen Jahreszeit noch an einigen Orten erhalten. Beschaulich geht es dabei allerdings eher nicht zu.
DAS GROSSE WOLFAUSLASSEN
Dröhnendes Glockengeläut, ohrenbetäubendes Peitschengeknalle – rund um den St. Martinstag findet an manchen Orten im Bayerischen Wald das sogenannte Wolfauslassen statt. Es erinnert an den Abtrieb des Viehs von den Almen zurück in die Bauernhöfe. Mit lautem Kuhglockengeläut und Peitschengeknalle (»Goaßlschnalzn«) versuchten die Hirten damals Wölfe und andere Wildtiere von den Kühen fernzuhalten. Heute ein atemberaubendes Brauchtumsspektakel. Das ganz große Wolfauslassen findet in Rinchnach bei Regen statt. Nähere Infos: info@rinchnach.de
ROTTALER LUZNACHT
Um den 13. Dezember, dem Tag der heiligen Lucia (lat. lux, Licht), treiben sich furchterregende Gestalten durch die Fußgängerzone von Bad Griesbach: Felsenteufel, Perchten, Druden treiben mit abscheulichen Masken ihr Unwesen mitten im Kurzentrum – ein schauriges Spektakel. Dabei gilt »d‘ Luz« vielerorts als Lichtbringerin in finsterer Zeit. In Bayern allerdings braust sie abgrundtief hässlich durch die eisigen Lüfte. Es kursiert sogar das üble Gerücht, sie hätte bei Landau schon ungezogene Kinder kurzerhand in die Isar geworfen. Zwiegestaltig – wie der Winter – tritt Lucia auf: Da ist einerseits die Dunkelheit, die klirrende Kälte, womöglich ein bitterer Mangel an Wintervorräten und andererseits die Erwartung des kommenden Lichts, des weihnachtlichen Leuchtens und Strahlens. Wer Näheres wissen will: brauchtumsverein-bad-griesbach.de
EIN HOCHZEITSORAKEL NAMENS BARBARA
Wer am 4. Dezember, dem Tag der heiligen Barbara, einige Obstzweige schneidet, ins Haus bringt und bis Heiligabend sorgfältig pflegt, kann sich womöglich an Weihnachten über positive, blühende Zeichen fürs neue Jahr freuen. Neugierige, heiratswillige Frauen stellen drei Obstzweige in die Vase, sie stehen für Jugend, Schönheit und Reichtum. Der Zweig, der zuerst erblüht, verrät die vortrefflichste Eigenschaft des künftigen Bräutigams: jung, schön oder reich? Belegbare Zusammenhänge zwischen den genannten Eigenschaften und glücklichen Ehen sind allerdings weder statistisch noch empirisch belegt.
KRAMPERLTRATZEN
Darauf freuen sich die Kleinen: Am 6. Dezember bringt der heilige Nikolaus braven Kindern Äpfel, Nüsse und Süßes. Manchmal wird er allerdings von seinem furchterregenden Diener, dem Krampus, begleitet. Er soll den bösen Kindern Respekt einflößen. Mancherorts tauchen aber schon am Vorabend wilde Horden gruseliger, fell- und hörnertragender Gesellen beim Kramperllauf auf. Beim sogenannten Kramperltratzen (Krampus ärgern) können tapfere Kinder dann selbst ihren Mut beweisen: Sie treffen sich bei Sonnenuntergang, um den Spieß umzudrehen und die fürchterlichen Gestalten zu erschrecken. Aber ganz ungeschoren kommen die furchtlosen Kleinen natürlich nicht immer davon.


ZWISCHEN DEN JAHREN
In vorchristlicher Zeit lebten die Menschen noch nach dem Mondzyklus. 29,5 Tage dauerte damals ein Monat. So lange braucht der Mond, um die Erde einmal zu umrunden. Entsprechend hatte ein Mondjahr 354 Tage. Im Vergleich zum heute gültigen Sonnenjahr mit seinen 365 Tagen »fehlten« dem Mondjahr 11 Tage und 12 Nächte. Diese Zeit wurde dem Jahr zur Wintersonnenwende als Schalttage hinzugefügt – eine »geschenkte« Zeit, eine Zeit »zwischen den Jahren«, eine Zeit der Wandlung, der Reinigung und der Erneuerung: die 12 Raunächte.
DIE RAUNÄCHTE BOOMEN
In einer Zeit rasanter technologischer Fortschritte, der multiplen Krisen und Bedrohungen suchen viele Menschen wieder eine Verbindung mit der Natur und zu ihren Wurzeln. Auch Menschen, die weder räuchern noch orakeln wollen, entdecken in den Raunächten Möglichkeiten, wieder mit sich selbst in Kontakt, zur Ruhe zu kommen, Verbrauchtes loszuwerden und sich auf ein neues Jahr einzustimmen. Dazu brauchen Sie keinen der unzähligen Raunacht-Ratgeber zu wälzen. Viele kleine Rituale helfen schon dabei, wieder mit sich selbst ins Reine zu kommen. Beispielsweise könnten Sie sich in jeder Raunacht eine Frage/Aufgabe stellen, der Sie in Ihrem Leben Raum geben möchten, beispielsweise:
• Welches Erlebnis war für mich in diesem Jahr besonders schön?
• Wofür bin ich dankbar?
• Was möchte ich im neuen Jahr lernen?
• Wovon möchte ich mich trennen? (Schreiben Sie kleine Zettel und verbrennen Sie sie, misten Sie Ihre Wohnung aus)
• Welche Menschen unterstützen mich dabei, das Positive im Leben zu sehen? (Zünden Sie eine Kerze für sie an)
GEISTER VERTREIBEN UND EINLADEN
Ein uralter Raunachtbrauch hat sich zu einem Massenphänomen entwickelt: das Böller- und Raketenschießen zu Silvester. Der Lärm, der vormals böse Geister vertreiben und den Winter verjagen sollte, führt heute zu enormen Müllbergen, hohen Feinstaubemissionen, verstörten Wild- und Haustieren, Verletzungen und Sachschäden. Die Weiterentwicklung des heutigen Silvesterbrauchs zu einem Ritual, das weder der Natur noch dem Menschen Schaden zufügt, kann neue, gute Perspektiven öffnen. Ein paar Anknüpfungspunkte: Die Annahme, dass mehr Böller auch mehr böse Geister vertreiben könnten, ist schlicht falsch. Eine einzige Rakete reicht zur Abschreckung völlig. Diese eine Rakete wird sorgfältig ausgewählt und mit guten Wünschen beschriftet. Oder: Sie stellen statt Abschussrampen einen Feuerkorb auf, in den jeder Gast ein beschriftetes Holzscheit wirft und anzündet. Wer die guten Mächte als Jahresbegleiter einladen will, wirft noch duftende Kräuter auf die glühenden Scheite. Dazu eignen sich viele getrocknete Pflanzen aus dem Balkonkasten oder Garten bestens: Salbei und Lavendelkraut, Rosenblätter und Pfefferminze, Rosmarin und Wacholderzweige. Mit dem wärmenden Feuer, dem aufsteigenden Rauch, dem wiederkehrenden Licht gehen wir dem neuen Jahr zuversichtlich entgegen.

Bildnachweis: Peter von Felbert, Adobe Stock/Pam Walker





















