Im Frühling ist die beste Sammelzeit für Wildkräuter, denn da treiben die jungen zarten Triebe überall aus der Erde. Der Wildkräuterexperte Rudi Beiser erklärt, warum die essbaren Wildpflanzen so gesund sind und zeigt uns, wie man die leckeren Gartenunkräuter in der Küche nutzt.
VON DER WIESE AUF DEN TELLER
Von März bis Mai finden Sie in der Natur Wildkräuter in ihrer besten Form, denn das frische Grün ist jetzt noch jung und schmeckt mild. Ältere Blätter werden zunehmend bitter, faserig oder gerbstoffhaltig. Wer noch keine Erfahrungen mit essbaren Wildkräutern hat, beschränkt sich bei der Sammeltour auf einige wenige wohlschmeckende Arten, die überall zu finden sind und keine giftigen »Verwechsler« haben. Dazu gehören zum Beispiel Brennnessel, Giersch, Löwenzahn und Vogelmiere. Direkt vor der Haustür finden Sie die wilden Gesellen nahezu überall: im Rasen, in Mauerritzen, im Garten, auf Wiesen sowie an Weg- und Waldrändern. Die Sammelroute sollte vielbefahrene Straßen, Felder, die mit Pestiziden gespritzt werden und Wege, an denen Hunde ausgeführt werden, aussparen. Das gleiche gilt für Wiesen, auf denen Tiere weiden.
WILD IST GUT
Wildkräuter und -früchte unterscheiden sich ernährungsphysiologisch deutlich von den Gemüse- und Obstarten, die sich normalerweise auf unseren Tellern befinden. Sie enthalten durchschnittlich etwa dreimal so viel Proteine, Vitamine, Mineralien und Spurenelemente. Die essbaren Wildkräuter überzeugen durch eine hohe Nährstoffdichte und enthalten mehr Vitamine, Mineralien und sekundäre Pflanzenstoffe als unser Gartengemüse. Diese Stoffe sind für unsere Gesundheit wertvoll, denn sie können antioxidativ, antimikrobiell, antikarzinogen und entzündungshemmend wirken. Es lohnt sich, Wildpflanzen in den Speiseplan einzubinden. Sie kurbeln unser Immunsystem an und können Blutdruck sowie Cholesterin senken. Wildkräuterküche ist sozusagen Gesundheitsprophylaxe.
HOCHLEISTUNGS-GEMÜSE
Bei der Züchtung unserer Nahrungspflanzen aus Wildpflanzen, die etwa vor 11.000 Jahren begann, sind leider viele gesundheitsrelevante Inhaltsstoffe verloren gegangen. Die neuen »Hochleistungs-Gemüse« sind zwar größer, milder und ertragreicher geworden, aber es blieben auch viele Vorteile der wilden Urgemüse auf der Strecke. Unsere Vorfahren haben sich Jahrmillionen ausschließlich von Wildpflanzen und Wildtieren ernährt, also etwa 99 % der Menschheitsgeschichte. Erst in den letzten Jahrhunderten haben wir angefangen, Pflanzen und Tiere durch Züchtung zu verändern. Aufgrund unserer Vorgeschichte aber, ist die wilde Nahrung unserem Organismus evolutionär bestens angepasst und meist gut verträglich.
GIERSCH AUF EROBERUNGSZUG
Der Giersch, in manchen Gegenden auch Geißfuß genannt, ist ein »Allerweltskraut«, dem man überall begegnet. Häufig findet man den Doldenblütler in Gärten unter Bäumen und Büschen. Aber auch in Parks und an Waldrändern breitet sich die robuste Pflanze meist flächendeckend aus. Lange Zeit galt der Giersch als lästiges Unkraut und als »Gärtnerschreck«, da er sich aufgrund der zahlreichen Wurzelausläufer kaum ausrotten lässt. Seit man weiß, dass viele Unkräuter auch ihre guten Seiten haben, landet der Giersch auch im Suppentopf. Die jungen Blätter eignen sich auch für Salate, Kräuterbutter, Pesto und Spinat oder als Füllung von Pfannkuchen und Maultaschen. Die fein-würzigen Aromen erinnern etwas an junge Möhren. Sammeln Sie vor allem die ganz jungen Blätter, wenn sie sich noch in einem glänzenden hellgrün präsentieren. Auch die saftigen Stängel können mitverarbeitet werden. Wenn später im Jahr die Blüten erscheinen und die Blätter älter geworden sind, dann ist es Zeit den Bestand abzumähen, denn der Geschmack ist jetzt herb und unangenehm. Die gemähte Fläche treibt dann neu aus und man kann ein weiteres Mal ernten.

KEINE ANGST VOR VERWECHSLUNG
Der Giersch hat glücklicherweise keine giftige Verwechslungspflanze. Zudem besitzt er einige typische Merkmale, die ihn unverwechselbar machen. Sie erkennen ihn am flächendeckenden Vorkommen und am möhrenartigen Duft des zerriebenen Blattes. Wenn Sie einen Blattstiel des Gierschs zwischen den Fingern rollen, spüren Sie deutlich seine Dreikantigkeit. Das Blatt selbst ist ebenfalls dreigeteilt und die einzelnen Blattfiedern sind wiederum zwei- bis dreigeteilt.
WILDES GIERSCH-PESTO
ZUTATEN: 80 g junge Gierschblätter, 40 g junge Löwenzahnblätter, 1 Knoblauchzehe, 150 ml Olivenöl extra virgin, 2 EL Zitronensaft, 30 g Sonnenblumenkerne, 30 g Pecorino oder Parmesan, 1 TL Meersalz
ZUBEREITUNG: Die Sonnenblumenkerne in einer trockenen Pfanne anrösten und anschließend mit einem Wiegemesser grob hacken. Giersch und Löwenzahn so fein wie möglich schneiden. Nun alle Zutaten zusammen mischen. Sie können auch alles im Mixer zerkleinern. Passt wunderbar zu Pasta oder Salatsoßen und schmeckt auch als Brotaufstrich. In Gläser abgefüllt, mit etwas Öl bedeckt und im Kühlschrank gelagert hält das Pesto drei Monate (wenn es nicht vorher gegessen wird).
VOGELMIEREN-SUPPE
ZUTATEN: 1 Zwiebel, 250 g Kartoffeln (mehlig), 3 EL Butter, 1 Liter Gemüsebrühe, 80 g Vogelmiere, je 40 g Brennnesseln und Sauerampfer, 100 g Creme fraîche oder Schmand, 2 TL Sojasoße, Pfeffer und Muskat
ZUBEREITUNG: Kleingeschnittene Zwiebel und gewürfelte Kartoffeln in Butter anbraten und mit Gemüsebrühe ablöschen. 15 Minuten köcheln lassen. Kleingeschnittene Wildkräuter dazugeben und 5 Minuten ziehen lassen. Suppe fein pürieren und mit Creme fraîche und Gewürzen abschmecken.
VOGELMIERE — EIN UNKRAUT, DAS GUTEN BODEN MAG
Die Vogelmiere gilt als Zeigerpflanze für fruchtbare und nährstoffreiche Böden. Wo sie sich wohlfühlt, überzieht sie den Gartenboden teppichartig. Allerdings hat das zarte Pflänzchen nicht den Namen »Unkraut« verdient, denn es eignet sich ganz vorzüglich für die Wildkräuterküche. Die Vogelmiere bekam ihren Namen übrigens nicht umsonst, denn Vögel und Hühner lieben diese Pflanze. Schon im 16. Jahrhundert fütterten die reichen Bürger ihre Kanarienvögel damit und die Bauern glaubten ihre Hühner würden dadurch mehr Eier legen.
NICHT NUR FÜR VÖGEL
Sollten Sie der Vogelmiere bisher noch keine Beachtung geschenkt haben, dann pflücken Sie ein paar zarte Blätter und Stängel für einen Geschmackstest. Roh geknabbert, entfaltet sich ein Geschmack, der an junge milchige Maiskolben erinnert. Überhaupt schmeckt sie roh am besten, weshalb sie sich für einen Wildkräutersalat oder ein Pesto hervorragend eignet. Achten Sie beim Rohgenuss darauf, die Vogelmiere möglichst in kleine Stücke zu schneiden. So stören die Fäden in älteren Stängel nicht beim Essen. Aber auch gedünstet schmeckt sie vorzüglich, vor allem als Suppe, unter Aufläufe gemischt oder als spinatartiges Wildgemüse. Wenn die Triebe noch saftig und jung sind, genügen schon wenige Minuten der Erhitzung.

KAUM ZU VERWECHSELN
Die niederliegend wuchernde Vogelmiere (siehe Titelbild) bedeckt mit ihren dünnen Pflanzenstängeln oft größere Flächen. Ein typisches Erkennungsmerkmal entdecken Sie, wenn Sie einen Stängel vorsichtig auseinanderreißen, dann zeigt sich ein herausragender fadenähnlicher Leitbündel. Ein genauer Blick auf den Stängel offenbart noch ein weiteres Merkmal: die typische Haarleiste aus weißen Härchen, die in einer Linie herabläuft. Die kleinen sternförmigen Blüten der Vogelmiere besitzen fünf weiße Blütenblätter. Allerdings sind sie so tief eingeschnitten, dass auf den ersten Blick der Eindruck entsteht, es wären zehn. Sollten Sie trotz dieser markanten Merkmale versehentlich eine der ähnlich aussehenden Mieren oder Hornkräuter erwischen, müssen Sie sich keine Sorgen machen: Sie sind nicht giftig, aber auch nicht besonders lecker. Rudi Beiser weiß, worauf er beim Sammeln von Wildkräutern achten muss.
Bildnachweis: Rudi Beiser, Adobestock/groisboeck