Dass man sich nach einem anstrengenden Tag ausgelaugt und müde fühlt, ist vollkommen normal. Um wieder neue Kräfte zu schöpfen, reicht es meist, eine entspannte Runde im Grünen zu spazieren, vielleicht eine Yoga-Einheit einzulegen oder eine Nacht richtig gut zu schlafen. In der Regel fühlt man sich danach wieder frisch und leistungsstark. Doch was, wenn die Erschöpfung zum Dauerzustand wird? Wenn es schwer wird, sich selbst aus dem Erschöpfungszustand herauszuholen, eine gewohnte Tagesstruktur einzuhalten oder gar das übliche Arbeitspensum zu bewältigen?
KEIN NEUES PHÄNOMEN
Wenn die Erschöpfung chronisch wird, könnte möglicherweise eine Erkrankung wie das Chronische Fatigue-Syndrom (CFS) Grund dafür sein. »CFS ist kein neues Phänomen,« sagt Dr. med. Oliver Meier. Er ist ärztlicher Direktor und Chefarzt der Neurologie und Geriatrie im Passauer Wolf Bad Griesbach. »Doch gehört CFS auch zu den Erkrankungen, mit denen Menschen nach einer überstandenen Covid-Infektion zu kämpfen haben. CFS hat damit heute neue Aufmerksamkeit gewonnen, als Long-Covid-Syndrom.«
WORAN ERKENNT MAN CFS?
Dr. Meier: Trotz immer noch weitgehend ungeklärter Ursachen ist das Chronische Fatigue-Syndrom inzwischen als eigenständige Krankheit anerkannt. Doch lässt es sich nicht einfach diagnostizieren. Denn auch andere Krankheitsbilder, etwa Depressionen, Persönlichkeitsstörungen oder Autoimmunerkrankungen können von anhaltender Müdigkeit, Erschöpfung und Antriebslosigkeit begleitet werden. Eine klare Abgrenzung ist daher unbedingt notwendig. Umfangreiche Kriterienkataloge erhöhen die Sicherheit der Diagnose.
DIE WICHTIGSTEN HINWEISE AUF CFS
Dr. Meier: Die Aktivität von Betroffenen ist deutlich eingeschränkt durch neu auftretende, unerklärliche, anhaltende oder wiederkehrende körperliche odermentale Erschöpfung. Betroffene leiden nach einer Belastung unter ungewöhnlicher Erschöpfung, einer Verstärkung des Krankheitsgefühls, an Schmerzen, wie etwa Muskel-, Gelenk- oder Kopfschmerzen und/oder einer Verstärkung anderer Symptome. Selbst »normale« Aktivitäten wie Zähne putzen, Schuhe anziehen oder telefonieren können als Belastung empfunden werden. Begleitend können Verwirrtheit, Konzentrationsschwäche oder Bewegungsstörungen auftreten. Die sogenannten »Kanadischen Konsens-Kriterien« helfen bei der Einordnung der Symptome. Dazu zählen Herzklopfen, Appetitverlust, Schwindel, Übelkeit, Reizdarmsyndrom. Auch neuroendokrine Ausprägungen, etwa Appetitverlust oder gesteigerter Appetit, auffällige Gewichtsveränderungen, niedrige Körpertemperatur, Schweißanfälle, oder immunologische Manifestationen. Das sind grippeähnliche Symptome, z. B. Halsschmerzen, aber auch Überempfindlichkeit gegenüber Medikamenten und Nahrungsmitteln.
Wer ist dieses ›Ich‹, das seinen Antrieb verliert?
Die Verbindung aus Medizin, Wissenschaft – auch der Philosophie, hilft zu ergründen, wo unser »Antrieb« seinen Ursprung hat und dadurch dabei, Behandlungsmethoden zu verfeinern.
Neue Energie gewinnen, auch nach einer Covid-Erkrankung
Dr. Meier: Bei Beschwerden, die mindestens sechs Monate andauern, kann ein Reha-Aufenthalt Betroffene auf ihrem Weg zurück in ein vitales, aktives Leben unterstützen. Doch wie eine geeignete Einrichtung finden? Das neue Qualitätssiegel »Post-CovidCheck« vom Reha-Portal Qualitätskliniken hilft bei der Orientierung. Um das Siegel zu erhalten, müssen Einrichtungen profunde Erfahrungen in der Rehabilitation von Long-Covid-Patienten nachweisen, über alle notwendigen medizinischen Fachrichtungen verfügen und entsprechende Anwendungen anbieten. 2021 wurde der Passauer Wolf Bad Griesbach mit dem Qualitätssiegel »Post-Covid-Check« ausgezeichnet.
Wie kann eine neurologische Reha Menschen mit CFS als Folge von Covid-19 helfen?
Dr. Meier: »Die Folgen sind vielschichtig. Neben Schädigungen der Lungenfunktion bis hin zum ARDS* oder des Herz-Kreislauf-Systems beobachten wir auch leistungseinschränkende neurologische Symptome, wie das Chronische Fatigue-Syndrom oder kognitive Einschränkungen wie Vergesslichkeit oder Konzentrationsprobleme. Dazu kommt eine generelle Schwächung der Leistungsfähigkeit. Auch emotionale Beeinträchtigungen, beispielsweise Ängste, spielen eine Rolle. Die Behandlung des Chronischen Fatigue-Syndroms erfolgt nicht nur medikamentös. Im Passauer Wolf Bad Griesbach verfolgen wir unterschiedliche Behandlungsstrategien, um auf die verschiedenen Beschwerden individuell einzugehen. Unsere Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit der Charité Berlin oder der TU München sind dabei sehr wertvoll. Unser leitender Oberarzt Dr. Stefan Kley gleicht die Reha-Konzepte, gemeinsam mit dem Behandlungsteam, laufend an neue Erkenntnisse an. Ziel ist es immer, nicht nur die Symptome zu lindern, sondern gemeinsam auch Bewältigungsstrategien einzuüben, die eine Rückkehr in den selbstständigen Alltag ermöglichen. Pacing** ist dabei der Schlüsselbegriff und im Fokus bei der Zusammensetzung der Maß- nahmen. Dazu gehören etwa Physiotherapie, Atemtherapie, Ergotherapie, Physikalische Maßnahmen, neuropsychologische Behandlungsansätze, Entspannungstechniken – auch im Wasser, denn die körperliche Entspannung ermöglicht meist auch eine mentale Öffnung.«
*WAS BEDEUTET ARDS?
Die Abkürzung ARDS steht für Acute Respiratory Distress Syndrome und bezeichnet die schwerste Form eines Lungenversagens. Der lebenswichtige Gasaustausch, den die Lunge übernimmt, ist dann beeinträchtigt. Der Transport von Sauerstoff ins Blut und der Abtransport von Kohlendioxid aus dem Blut ist gestört. Damit besteht die Gefahr eines schweren Sauerstoffmangels im Körper, der lebensbedrohlich sein kann.
**WAS BEDEUTET PACING?
Pacing nutzt die optimale Balance zwischen Schonung und Aktivierung. Patienten sollen sich dabei stets weni-ger verausgaben, als es ihre Kraft erlaubt. Dies reduziert Rückschläge im Genesungsverlauf und ermöglicht den allmählichen, steten Aufbau neuer Kräfte.
Gibt es noch weitere Therapiebausteine?
Energiemanagement. Stichwort Pacing: Die eigene Belastungsgrenze darf nicht überschritten werden. Nach zu viel körperlicher Belastung kann es zu einer Zunahme der Beschwerden für viele Tage kommen, der sogenannten postexertionellen Malaise. Ein Aktivitätstagebuch kann helfen, die eigene Belastbarkeit realistisch einschätzen zu lernen.
Kontrolle. Hier geht es um die Regulierung des Immunsystems, um gesunde Ernährung und um die Kontrolle von Stress. Dafür üben wir Bewältigungsstrategien, sogenannte Coping-Strategien, ein. Sie helfen bei der Überwindung von belastenden Situationen und Angst. Auch Mind-Body-Verfahren wirken positiv auf Körper, Seele und Geist. Wir gehen zudem auf die Rolle gesunder Nahrungsmittel und Probiotika ein.
Symptome lindern. Auf die Verbesserung von eventuellen Schlafstörungen, Schmerzen, Darmproblemen oder Konzentrationsschwächen hinwirken.
Supplemente ergänzend zur gewöhnlichen Nahrung einsetzen, um die Versorgung mit einzelnen Nährstoffen zu erhöhen. Infrage kommen u.a. Vitamin D, Eisen, Ribose, Vitamin B12, Folsäure, Magnesium, Vitamin B1, B6, Coenzym Q10, Omega-3-Fettsäure und Linolensäure.
Bildnachweis: Berli Berlinski