Clemens Scherbel und Christopher von Stelzer haben sich im Mai 2022 einen Traum erfüllt. Die beiden sind Weltmeister der Sportart Hyrox, einer seit rund vier Jahren bestehenden Disziplin, die Ausdauer und Krafttraining kombiniert. Acht Stationen sind mit je einem Kilometerlauf verbunden.
1 DUO. 1 TITEL.
»Ich hab’ s erst zwei Wochen später so richtig registriert«, antwortet Clemens Scherbel auf die Frage, was einem durch den Kopf geht, wenn man versteht, dass man ab sofort Weltmeister ist. Wir treffen die Weltklassesportler in der Passauer Wolf City-Reha in Ingolstadt, wo für Christopher noch eine Leistungsdiagnostik ansteht, die Impulse für die Trainingsoptimierung liefern soll. Die beiden trafen beim Tennis erstmalig aufeinander. Clemens zog für seine Diplomarbeit nach Ingolstadt, Christopher kommt aus Ingolstadt. Er war es auch, der Clemens erstmals von Hyrox erzählte. »Ich bin vom normalen Laufen auf den Hindernislauf gekommen, Spartakus Run, Tough Mudder«, erzählt Christopher. »Das sind Formate, bei denen man viel durch die Natur läuft, aber noch Hindernisse hat. Drüberspringen, Untendurchklettern, irgendwas tragen. Das hat mich mehr interessiert als nur zu laufen.« Ein paar dieser Hindernisläufe machten die beiden gemeinsam, bis Hyrox aufkam. »Clemens hat sofort mitgemacht«, erinnert sich Christopher.
Man muss sich schon ein bisschen quälen wollen.
EINE SPINNEREI AUF DER HEIMFAHRT
Hyrox findet indoor statt. Events waren coronabedingt rar. Clemens Scherbel startete zunächst in der Kategorie »Einzel«, bis sie im November 2021 in Berlin erstmalig als Duo starteten. Clemens Garten wurde als Probeparcours genutzt, der Keller im Haus zum Fitnessstudio umfunktioniert, eine Laufstrecke um den Block abgesteckt. Und schon befanden sie sich mitten im Training. »Wir wussten grob, was wir uns zeitlich ausrechnen können, aber dass es doch so gut wird, das hätten wir nicht erwartet«, erinnert sich Christopher an Berlin. Eine Zeit von 53:02 schafften sie dort. Das war die drittschnellste, die bis dato gelaufen wurde. Die Konkurrenz lag mit ihren Zeiten in etwa bei einer Stunde. »Und dann haben wir uns gesagt: WM in Las Vegas. Das hört sich ganz reizvoll an«, lässt Clemens eines der Gespräche auf der Heimfahrt Revue passieren. »Das war erstmal eine Spinnerei auf der Heimfahrt, aber wir haben schon gemerkt: Irgendwie klappt das hier ganz gut«, erzählt Christopher weiter. Es folgten weitere Wettkämpfe. In München Ende Februar 2021 wollten sie die Zeit bestätigen, und unterboten sie sogar. Die ersten Sponsoren wurden auf die beiden aufmerksam. Ein weiterer Meilenstein, der letztlich zur Europameisterschaft in Maastricht führte. Erstmals ist auch ein internationaler Vergleich möglich. Eine Corona-Erkrankung vor der EM wirft Clemens Scherbel zurück. Ob sein Körper der Belastung in Maastricht standhalten würde, war unklar. Die Taktik wird kurzerhand geändert. Aber dennoch: Die beiden qualifizieren sich für die Weltmeisterschaft in Las Vegas.
UND DANN WAR ER DA, DER TAG X
Es war der Tag, auf den sie hart hintrainiert hatten. Der Tag der WM in Las Vegas. Freunde standen an der Strecke, um anzufeuern. Der Livestream über den Instagram-Kanal für alle zu Hause Gebliebenen war eingerichtet. Ähnlich wie bei Rennfahrern, die ihre Kurven im Geiste abfahren, wurde der Hallenplan am Vorabend nochmal studiert, die Wechsel perfektioniert. »Wir waren übermotiviert«, erzählt Christopher. »Die erste Runde, die wir gelaufen sind, war die beste, die wir je gelaufen sind. Freunde von uns hatten über das Live Scoring verglichen, wie viel Vorsprung wir haben, und irgendwann haben wir mal gehört, zwei Minuten Vorsprung. Da haben wir gewusst: Wenn wir das jetzt strukturiert durchziehen, dann kann uns nichts mehr passieren.« »Das war ein Start-Ziel-Sieg«, ergänzt Clemens. Sie erreichten eine Zeit von 51:26 und waren damit nur 60 Sekunden entfernt vom Weltrekord. Die ersten Telefonate nach Deutschland wurden geführt, Glückwünsche entgegengenommen. »Wir sind zurück in die Halle, um andere zu supporten, waren kontinuierlich auf diesem hohen Level der Euphorie, was schön war. Genau dafür trainieren wir ja auch.« Nachmittags im Hotel am Pool dämmerte es den beiden. »Da hat man dann gemerkt«, erzählt Christopher weiter, »hey, das war schon ganz gut«. Und dann wurde Las Vegas unsicher gemacht. »Gehört auch dazu. Wenn man sich davor monatelang zurückhält und dann fällt dieser ganze Druck ab. Ich glaub’, das ist nur gesund, dass man sich das dann auch gönnt – auf längere Sicht. Ich kenne genug Sportler, die sowas nicht zelebrieren, dann aber nach ein paar Jahren mental ausgelaugt sind.«
TROTZ NIEDERSCHMETTERNDER DIAGNOSE
»Wenn mir das einer vor fünf Jahren erzählt hätte.« 2017 erhielt Clemens eine niederschmetternde Diagnose. »Ich wollte mit dem Fußball aufhören«, erzählt Clemens, »mehr Richtung Hindernislauf gehen und hab’ dann nochmal ausgeholfen bei einem Fußballspiel und mir dabei einen Sprunggelenksknorpelschaden zugezogen. Der Arzt hat Sport nicht mehr in Aussicht gestellt. »Ich war dann noch bei einem zweiten Arzt, habe mir noch eine Meinung eingeholt von einem Regensburger Knorpelspezialisten, bei dem ich mich auch operieren habe lassen. Der hat zu mir gesagt: ›Sie können auf jeden Fall wieder laufen gehen‹. Ich habe mich dann ganz langsam rangetastet, habe mir Alternativsportarten gesucht, die nicht auf die Gelenke gehen, sogar wieder ein Spartan Race gemacht, einen 5-Kilometerlauf zwei Jahre nach der Verletzung. Dann kam das mit Hyrox und ich hab’ mir gedacht: Die acht Kilometer Laufen, das ist eigentlich noch locker drin. Krafttraining sowieso. Und jetzt sind wir Weltmeister.« Den kompromisslosen Fokus auf die Ziele zu wahren, ist sicher nichts Selbstverständliches mit der Diagnose, die den Zielen und einem Weltmeistertitel − realistisch betrachtet − im Wege stand. Auch wenn es immer noch im Hinterkopf ist, hat Clemens gelernt, seine Grenzen zu respektieren, weiß, was realistisch ist, und wann er besser aufhören sollte, um sich nicht überzustrapazieren.
AM ENDE MUSS ES SPASS MACHEN
Das Hobby zum Beruf zu machen ist nicht das Ziel der beiden. Sport bleibt für sie ein Hobby. Schon allein, weil der Druck steigen würde, wenn die Abhängigkeit vom Sport gegeben ist und sich Fragen stellen wie: Was macht man danach? »Eine gute Zeit haben und trotzdem erfolgreich sein«, wie es Clemens ausdrückt, ist eher die Devise. Die sehr am Boden gebliebenen Weltmeister haben bescheidene Ziele. Es macht den Eindruck, als hätten sie einen guten Weg gefunden, den Sport mit Disziplin zu verfolgen, ohne zu viel aus dem Privat- oder Berufsleben zu opfern. Dank der Sponsoren können sie den Sport relativ kostenneutral ausüben. Verletzungsfrei zu bleiben zählt etwa zu den Zielen für die Zukunft von Clemens Scherbel, für den die Familie an erster Stelle steht.
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