Sich Ziele zu setzen, darauf hinzuarbeiten, auch mal über seinen eigenen Schatten zu springen und an seine Grenzen zu gehen, um das Erhoffte letztendlich zu erreichen — das bringt Glücksgefühle mit sich. Erfolg zu haben motiviert, treibt uns an, weiterzumachen und nach Höherem zu streben. Nicht nur im Beruf oder auf der Karriereleiter, sondern in allen Lebensbereichen. Dass darüber Einigkeit herrscht, möchte man meinen. Oder? Begeben wir uns auf einen Streifzug der Erfolgsgeschichten …
BESSER DEN BALL FLACH HALTEN?
Wer sich Ziele setzt, riskiert, dass er das gewünschte Ergebnis verfehlt. Frustration kann die Folge sein, wenn wir uns zu hohe Ziele gesteckt haben. Eine Studie mit über 20.000 Teilnehmern der italienischen Ökonomen Marco Bertoni und Luca Corazzini zeigt, dass Menschen, die ihre eigenen Erwartungen und Ziele nicht erfüllen, signifikant unzufriedener sind. Sogar erfolgreiche Menschen sind den beiden Wissenschaftlern zufolge nicht auf Dauer zufriedener. Dies begründen sie damit, dass die Freude über den Erfolg oft nicht lange anhält. Sobald das Ziel erreicht ist, werden neue, noch höhere Ziele gesetzt. Erfolgreich zu sein führt dazu, noch erfolgreicher sein zu wollen. Privat wie beruflich scheint das völlig normal zu sein. Der Referenzpunkt verschiebt sich und Wunsch und Wirklichkeit liegen dann häufig zu weit auseinander. Die Formel für ein zufriedenes Leben, die Bertoni und Corazzini in ihrer Untersuchung herausfanden, scheint ganz einfach zu sein: »Setzen Sie sich keine unerreichbaren Ziele. Hängen Sie die Latte nicht zu hoch.«
GLÜCK ODER ERFOLG?
Vertreter der Positiven Psychologie gehen schon mal so weit, uns zu raten, lieber nach Glück als nach Erfolg zu streben. Doch funktioniert das eine ohne das andere? Wenn wir den Blick auf die Rehabilitation und die Gesundheit richten, braucht es wahrscheinlich ein bisschen von beidem. Denn auf dem Weg der Genesung können Fortschritte unglaublich motivieren. So setzt man beim Passauer Wolf alles daran, die Ziele, die sich Patienten stecken, gemeinsam mit ihnen zu erreichen. Die Ziele sind vielfältig — die Bandbreite groß: wieder Inlineskaten können, Klavierspielen oder die eigenen Einkäufe erledigen, den Alltag im eigenen Zuhause meistern. Das zu erreichen kann anstrengend werden. Auf dem Weg zum »großen« angestrebten Erfolg ist oft viel Geduld erforderlich. Um der Unzufriedenheit keinen Raum zu geben, richtet man den Blick auch auf die »vermeintlich« kleinen Schritte. Man registriert sie nicht nur. Diese Erfolge werden gefeiert — mit dem ganzen Behandlungsteam. »Oft bemerkt man selbst nicht, welchen enormen Weg man schon zurückgelegt hat. Wenn wir unseren Patienten bewusstmachen, wieviel sie tatsächlich schon erreicht haben, ist die Überraschung und Freude darüber überwältigend. Das feiern wir zusammen. Und das schenkt auch uns Energie, um weiterzumachen«, erklärt uns Dr. med. Oliver Meier, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Neurologie und Geriatrie im Passauer Wolf Bad Griesbach.
EINE FRAGE DES STANDPUNKTES
Der Optimist in uns weiß: Misserfolge bieten uns die Möglichkeit, zu lernen und zu wachsen. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass der Weg des »erfolgreichen Scheiterns« keine flüchtige Modeerscheinung ist. Wer scheitert, hat prominente Gesellschaft. Eines der besten Beispiele liefert sicherlich Thomas Alva Edison. Der Erfinder der Glühlampe brauchte rund 2.000 Anläufe, bis er den ersten Kohlefaden in einer Lampe zum Leuchten bringen konnte. Seine Fehlversuche soll er mit folgendem Satz beschrieben haben: »Ein Misserfolg war es nicht. Denn wenigstens kenne ich jetzt 2.000 Möglichkeiten, wie ein Kohlefaden nicht zum Leuchten gebracht werden kann.« Oder Walt Disney: Sein angeblicher Mangel an Kreativität machte ihm schon in der Schule Probleme und deshalb wurde ihm auch sein erster Job gekündigt. Er steckte über 300 Absagen ein, bevor jemand »Ja« zur Finanzierung des Disneylands sagte. Auch Henry Ford steckte einige Rückschläge ein, was ihn zu der Aussage führte: »Das Geheimnis des Erfolges ist, den Standpunkt des anderen zu verstehen. Unsere Fehlschläge sind oft erfolgreicher, als unsere Erfolge.« Die Liste erfolgreicher Menschen, die zunächst scheitern mussten, bevor sie ihre Ziele erreichten, ist lang. Gehört das Scheitern vielleicht einfach dazu? Macht es nicht auch sympathisch, wenn Menschen offen und ehrlich mit vermeintlichen Misserfolgen umgehen?
LERNEN KÖNNEN WIR IMMER — WENN WIR ES WOLLEN
Aber richten wir den Blick noch einmal nach »Innen«. Ist es nicht toll, dieses aufgekratzte, aufgedrehte Gefühl, wenn etwas nach langer Mühe endlich klappt? Wenn man nach wochenlangem Lauftraining die Runde um den See durchhält, wenn sich ein verflixtes Problem in einem Arbeitsprojekt doch noch lösen
lässt oder wenn man nach längerer Krankheit wieder selbst Auto oder Fahrrad fahren kann? Es beflügelt uns und wir genießen das Gefühl. Und seien wir ehrlich: Wenn andere anerkennen, was wir geschafft haben, freut uns das umso mehr. Ob man seinen Erfolg offen und stolz herausstellt oder ihn doch lieber für sich im Stillen erlebt, ist eine Sache des Typs. So oder so hinterlässt er Spuren in uns und gibt uns Kraft dafür, Neues anzupacken und weiterzugehen. Und auch wenn man immer Gefahr läuft, ein gesetztes Ziel vielleicht nicht zu erreichen, wäre es ganz ohne Ziele doch langweilig und ein ziemlich lustloses Leben. Und die Lust auf und das Streben nach etwas bestimmen unseren Alltag. Deshalb handhaben wir es besser wie die beiden italienischen Forscher Marco Bertoni und Luca Corazzini und sind lieber nicht so streng mit uns selbst, wenn etwas nicht klappt. Daraus lernen können wir nämlich immer — wenn wir es zulassen. Zu lernen ist doch immer ein Erfolg und auch Grund genug, das ab und an zu feiern …
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