FRAGEN ZUM WOLF …
Bayerischer Wald. Noch im 18. Jahrhundert mussten hier die Hirten das Vieh auf den Sommerweiden vor Wölfen schützen. Die Hirten schnalzten laut mit – ihren »Goaßln« – der scharfe Peitschenknall verscheuchte die wilden Tiere. Zusätzlich trugen die Kühe Glocken um den Hals. Auch das Glockengebimmel hielt Wölfe fern, half zudem verlorene Tiere leichter wiederzufinden und gab der Herde Orientierung. Im Spätherbst, wenn das Vieh in die Stallungen getrieben wurde, schnallten sich die Hirten und Knechte, die Glocken selbst um und sicherten lärmend den Weg der Tiere ins geschützte Winterquartier. Ab diesem Moment wurde der Wolf »ausgelassen«: Er konnte sich wieder überall, auch auf den Viehweiden, frei bewegen. Das »Wolfauslassen« wird bis heute noch an wenigen Orten im Bayerischen Wald zelebriert – ein ohrenbetäubender und weltweit einzigartiger Brauch.
Seit 2006 tauchen wieder durchziehende Wölfe in Bayern auf, meldet der Bund Naturschutz. Sie kommen meist aus Polen, Norddeutschland oder dem südwestlichen Alpenbogen. Seit einigen Jahren gibt es aber auch wieder standorttreue Wölfe in Bayern. Insgesamt werden heute (Stand Januar 2021) aus acht bayerischen Regionen sesshafte Wölfe oder Wolfsrudel gemeldet. Ob sich dadurch der Brauch des »Wolfauslassen« weiterverbreitet?
… ANTWORTEN ZUM LEBEN
Ein unbeschreiblicher Lärm, donnerndes Glockengeläut, peitschendes »Goaßl-Schnalzn« — rund um den St. Martins-Tag im November wird an wenigen Orten im Bayerischen Wald auch heute noch der »Wolf ausgelassen«.
Im Spätherbst, wenn die Hirten – unter dem Lärm von Kuhglocken und Goaßl-Knallen – ihre Herden in die sicheren Stallungen zurückgebracht haben, darf sich der Wolf wieder überall frei bewegen, so sagt es ein uralter Brauch. Mit ihm wurde die Saison abgeschlossen. Der Hirte erhielt seinen Jahreslohn. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, nahm er zum Bauern die Kuhglocke mit. Mit dem Lärm wurde aber auch die Freude über eine gute Ernte und die glückliche Heimkehr des Viehs gefeiert. In Orten wie Bodenmais, Kirchberg oder Rinchnach ist der Brauch des »Wolfauslassens« bis heute lebendig. Bei Einbruch der Dunkelheit geht es los. Junge Burschen, aber auch Mädchen und ältere Männer, ab jetzt »Wolf« genannt, treffen sich an einem zentralen Ort und schnallen sich die Glocken um. Dann läutet sich die Gruppe ein – bis sie einen gemeinsamen Rhythmus gefunden hat. In Dreier-, Vierer-, manchmal sogar Fünferreihen, zieht der »Wolf«, angeführt vom »Hirten«, von Haus zu Haus. Vor jeder Tür wird so lange gelärmt, bis der Hausherr die Tür öffnet. Dann hebt der Hirte seinen Stab. Sofort tritt Stille ein und der Hirte spricht den Hirtenspruch. Nach dem Spruch wird wieder geläutet bis der Hausherr dem Hirten das »Hirtengeld« gibt. Wenn alle Häuser abgegangen sind, ziehen die Wolfauslasser ins Wirtshaus und feiern und läuten bis in die frühen Morgenstunden.
Goaßl, die [goàsl]
»Goaßl« nennt man in Bayern und Österreich eine kurzstielige Peitsche, die mit beiden Händen geführt wird. DieGoaßlschnur ist ein bis zu 4 m langes, gedrehtes Hanfseil, das sich zum Ende hin verjüngt. Hier ist die Triebschnur, auch Bast, Poschn oder Schnürl genannt, befestigt. Der schnalzende Klang entsteht durch die plötzliche Richtungsänderung beim Schwingen der Goaßl.
Wann habe ich eigentlich zum letzten Mal meine wilde Seite ausgelassen?
Bildnachweis: bayern.by/Peter von Felbert