Viel lieber schreibt Andreas Reichelt über Loser, die durchs Leben stolpern und in skurrile Situationen geraten. Sie stehen im Mittelpunkt mehrerer Bücher, die der Rottaler Schriftsteller und Masseur seit 2015 veröffentlicht hat und die sich durch Humor und Spannung auszeichnen.
Wir treffen den 42-Jährigen zu Hause in Postmünster mitten im Rottal an. Um die Ecke von Biergarten und Kirche liegt das Anwesen, in dem vier Generationen Tür an Tür leben. Im Bauernhof vorne der Großvater und der Schwager, gleich daneben die Schwiegereltern und ein Stockwerk höher Andreas Reichelt mit seiner Frau und den kleinen Töchtern. Familie ist für ihn das wichtigste. Gibt es nicht auch mal Konflikte, wenn man auf engem Raum zusammenlebt? Na klar, meint er: »Natürlich gibt es Zwänge. Aber lieber so, als wenn ich mich den Zwängen durch fremde Menschen aussetzen muss.«
TATORT KURORT
Er mag das Einfache und das zutiefst Menschliche, das manchmal zu kuriosen Situationen führt. Dies spiegelt sich auch in seinem Erstling »Saisonabsch(l)uss – ein Bad-Füssing-Krimi« wider, mit dem 2015 alles anfing. Nicht zufällig spielt die Geschichte im Kurmilieu, denn der gelernte Masseur Reichelt hatte einige Jahre zuvor im Passauer Wolf in Bad Griesbach erste Berufserfahrungen gesammelt und wechselte dann nach Bad Füssing. Seine Patienten beklagten, dass es wenig kurzweiligen Lesestoff ohne Gewalt und ausufernde Sexszenen gebe. Humorvolle Lektüre, spannend, aber nicht zu kompliziert – das wollten sie lesen. Also begann er zu schreiben, vorwiegend in den Nachtstunden. Heraus kam ein amüsanter Niederbayern-Krimi, in dem ein tollpatschiger Physiotherapeut mit großem Herzen in Bad Füssing Detektiv spielt. »Saisonabsch(l)uss« fand großen Anklang. Der Stoff fiel Reichelt vor die Füße, er musste ihn nur aufheben und in eine passende Form bringen. Amüsante Details kamen nach und nach dazu: »Ich bin ein guter Beobachter und habe immer ein Notizbuch bei mir.« Die blühende Fantasie des Autors vollbringt den Rest. Aber auch seine Disziplin, die Dinge zu vollenden. 500 Seiten umfasste sein erstes Manuskript – viel zu umfangreich! Es fiel dem frischgebackenen Schriftsteller sehr schwer, den Text einzudampfen, aber es verschaffte ihm auch einen großen Vorteil: »Plötzlich hatte ich Material für drei Romane!« Zwei weitere mit derselben Hauptfigur folgten. Der liebenswerte Therapeut arbeitet weiterhin im Kurwesen, doch sein Charakter entwickelt sich weiter und bekommt Tiefenschärfe, wie auch der Stil des Autors bei jedem Roman dazugewinnt. Das Geschehen wird komplexer, der Humor vielschichtiger, die Sprache geschliffener.
VON DREI AUF SIEBZEHN
Zunächst veröffentlichte Andreas Reichelt auf einer Self-Publishing-Plattform, bis Verlage auf ihn aufmerksam wurden. Mittlerweile sind 17 Werke von ihm erschienen, darunter auch Kurzgeschichten und drei Kinderbücher. »Ich wollte etwas schreiben, was auch meine Töchter lesen können. Und die Abenteuer von JoJo und Jules, die in Pfarrkirchen spielen, gefallen ihnen sehr«, sagt Reichelt. Im vergangenen Jahr wagte er sich schließlich an einen historischen Roman über einen Rädelsführer des bayerischen Bauernaufstandes.
Mittlerweile staunt der Autodidakt selbst über die Fülle der von ihm geschaffenen Figuren. Viele wurden in seinem Kopf lebendig, bekamen eine Eigendynamik und sind ihm ans Herz gewachsen: »Mein Multiversum!« Kreativität ist eine Gabe, die seiner Familie offenbar in den Schoß gelegt wurde. Sein Vater war der Kunstmaler Manfred Reichelt, und auch Andreas Reichelt hat schon in jungen Jahren gemalt und Gedichte geschrieben.
Als analoger Mensch in einer digitalen Welt liebe ich das Einfache.
KREATIVITÄT VOR KARRIERE
Vor zwei Jahren entdeckte Reichelt den Film als kreatives Medium. Das kam nicht von ungefähr, er brauchte Abstand zu seiner Tätigkeit in der physikalischen Therapie: »Ich liebe es, den Menschen zu helfen. Aber es ist auch sehr strapaziös.« Also begann er in Ruhe zu überlegen, wie es weitergehen könnte und erinnerte sich an seinen Traumberuf aus Jugendtagen: Journalist. Er absolvierte eine Ausbildung zum Videojournalisten bei Niederbayern TV in Passau. Das war nicht nur ein spannendes neues Tätigkeitsfeld, sondern inspirierte ihn auch beim Schreiben: »Ich schreibe sehr bildhaft.« Sein Ideal ist es, dass beim Lesen im Kopf ein Film abläuft, sagt er und klopft Caylee, die an ihrem Herrchen hochspringt, auf das braune Fell. Ein Spaziergang mit dem Labrador ist für ihn eine gute Möglichkeit, um zu entspannen und Ideen weiterzuspinnen. Genauso gerne sitzt er auf der Couch und langweilt sich: »Ich versuche, diesen Zustand einmal pro Woche aktiv herzustellen«, sagt er und lacht. Nicht immer gelingt das, der Spagat zwischen dem Brotberuf als Masseur, den er tageweise wieder aufgenommen hat, zwischen Videojournalismus und Bücher schreiben ist manchmal anstrengend. Er liebt die Vielfalt, aber auch die Pausen in seinem Leben; Karriere zu machen interessiert ihn nicht. Natürlich freut er sich über die literarischen Auszeichnungen, die er in verschiedenen Kategorien etwa beim Berliner Sender Radioplanet erhielt und die das Veröffentlichen erleichtern. Doch Geld, sagt er, hat noch keinen Menschen glücklich, aber sehr viele unglücklich gemacht.
GEMÜSEGARTEN VOR SUPERMARKT
Kostbar ist für Andreas Reichelt die Zeit, die er mit der Familie verbringt; dies hat im Moment oberste Priorität für ihn. Wie es mit dem Schreiben weitergeht, kann er noch gar nicht abschätzen und lässt es auf sich zukommen. Eine Kraftquelle ist für ihn das niederbayerische Rottal, wo er geboren wurde. Die reizvolle Hügellandschaft dort zieht er jeder Großstadt vor, der Gemüsegarten ist ihm mindestens so wertvoll wie der Supermarkt. »Als analoger Mensch in einer digitalen Welt liebe ich das Einfache«, sagt er und freut sich, dass seine Kinder auf dem Land aufwachsen dürfen, wo sie Raum zum Spielen und zum Staunen haben.
VERLIERER BEVORZUGT
Auch im Fernsehen schaut er sich am liebsten Naturfilme an. Die Tatsache, dass Sex und Crime auf allen Kanälen überhandnehmen, geht ihm auf die Nerven. Stress versucht er sich nach Möglichkeit vom Leib zu halten. Deshalb findet er die Helden seiner Romane, die durchs Leben irren, so sympathisch: »Das Heldenhafte ist Quatsch, ich mag Verlierer viel lieber.« Sein Interesse gilt den ganz normalen Menschen, die beim Versuch, ihr Leben auf die Reihe zu kriegen, immer wieder absurde Situationen erleben und auch mal straucheln. Sie leben mal besser, mal schlechter und meistern Niederlagen mit Humor. »So ist es nun mal, das Leben geht nicht immer gut aus«, sagt der Autor, der privat am liebsten Klassiker der deutschen Literatur liest und das traurige Ende eines Romans durchaus zu schätzen weiß. Doch keine Sorge, die von ihm geschriebenen Geschichten enden alle gut: »Denn Lachen ist einfach schöner als weinen.«
Das Heldenhafte ist Quatsch, ich mag Verlierer viel lieber.
Bildnachweis: Thomas Ammermüller Fotografie